Süddeutsche Zeitung

Energieversorgung in München:Gaskraftwerk soll den Kohleblock ersetzen

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Gegen den Willen der Sieger des Bürgerentscheids und gegen den Widerstand der Gemeinde Unterföhring wollen die Stadtwerke das Kraftwerk auf deren Grund bauen.

Von Heiner Effern

Die Stadtwerke München (SWM) legen sich im Streit um Alternativen für ihren Steinkohleblock im Heizkraftwerk Nord endgültig fest. Und der Stadtrat steht fast geschlossen an ihrer Seite, auch wenn damit eine Front in der Region München aufgemacht wird. Gegen den Willen der Sieger des Bürgerentscheids und gegen den Widerstand der Gemeinde Unterföhring wollen die SWM auf deren Grund ein Gaskraftwerk errichten, das gekoppelt Strom und Wärme liefern soll.

In einer am Dienstag im Wirtschaftsausschuss vorgestellten Konzeptstudie erklären die Stadtwerke, dass sie keine andere Ersatzlösung für den stillzulegenden Steinkohleblock mehr verfolgen wollen. Nur die ÖDP und die Linke wiesen diese Ansage als falsch und irreführend zurück.

Offen blieb in der Sitzung, ob sich die Stadtwerke den Ausstieg aus der Steinkohle "vergolden" lassen können, wie es ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff vorgeschlagen hatte. Der Bund bietet Geld für Betreiber an, die ihre Kohleverbrenner stilllegen. Bis Juni 2024 kann man sich bewerben, doch derzeit seien die rechtlichen Voraussetzungen dafür in München nicht erfüllt, erklärten Vertreter der Stadtwerke im Wirtschaftsausschuss.

Zugelassen seien nur Kraftwerke, deren Stilllegung nicht schon angezeigt worden sei und die nicht als systemrelevant für die Stromversorgung gelten würden. Beides ist aber beim Kohleblock der Fall. Ob bei einem schnellen Bau des Ersatzkraftwerks noch eine späte Bewerbung für das lukrative Ausstiegsprogramm möglich sei, konnte in der Sitzung rechtlich nicht mehr eindeutig geklärt werden.

Allerdings ist derzeit ohnehin unklar, ob und wie fix sich das Ersatzkraftwerk in Unterföhring verwirklichen lässt. Fest steht nur, dass es bis zum beschlossenen Ausstieg aus der Steinkohle am 31. Dezember 2022 nicht laufen wird. Dieses Datum war im Bürgerentscheid vom November 2017 festgelegt worden. Die Planung der Stadtwerke läuft zwar bereits, doch sie müssen sich möglicherweise auf eine juristische Auseinandersetzung mit der Nachbargemeinde Unterföhring einrichten. Diese hatte sich Anfang Oktober erneut festgelegt, auf keinen Fall den Bau des Gaskraftwerks auf ihrem Gebiet zulassen zu wollen. Sie will nun einen Bebauungsplan für das Areal auf den Weg bringen, der dort ausschließlich regenerative Energien zulässt.

Die Stadtwerke gehen davon aus, dass sie keine Zustimmung der Gemeinde benötigen, wenn sie ein Kraftwerk stilllegen und dafür ein neues, weniger umweltschädliches errichten. Dafür soll das Bundesimmissionsschutzgesetz die nötige Basis bieten. Sollte die Genehmigung kommen, rechnen die SWM mehrere Jahre für den Bau und zwei für eventuelle Klagen ein. Das hieße, dass der Ersatz für den Kohleblock kaum vor dem aktuell vom Stadtrat anvisierten Abschaltdatum spätestens im Jahr 2028 fertig würde. Doch die Politik rechnet offenbar sogar damit, dass der Kohleblock ohne dieses Gaskraftwerk noch länger laufen könnte.

Das liegt an dessen Systemrelevanz für die Stromversorgung. Diese erlöscht wohl erst, wenn die großen Stromtrassen im Bund von Nord nach Süd fertiggestellt sind. Frühestens im Jahr 2028 rechnet die Stadt damit. Doch SPD-Stadträtin Simon Burger äußerte sich skeptisch, ob dieser Termin realistisch sei. "Ich sehe eine große Gefahr, dass das noch lange dauert." Die Botschaft ist klar: Eine Garantie für den Ausstieg aus der Steinkohle noch vor 2028 gibt es nur mit einem neuen Gaskraftwerk.

Dieses muss laut Stadtwerke gekoppelt Strom und Wärme erzeugen. Denn auch für die Heizperiode in München liefert die Steinkohle die gesetzlich vorgeschriebene Sicherheit. Nur ein Gaskraftwerk kann das laut SWM ökologisch und ökonomisch sinnvoll leisten. Dieses soll so früh wie möglich auf einen anderen, regenerativen Energieträger umgestellt werden. ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff bezweifelt die Angaben der Stadtwerke seit Jahren. Die Lücken bei Wärme und Strom, die der abgeschaltete Kohlemeiler hinterlasse, seien "hausgemacht", weil die Stadtwerke fahrlässig Kapazitäten abgebaut und neue Energieträger wie die Geothermie ausgebremst hätten.

Was die grün-rote Koalition nun auf den Weg bringe, sei "ein Offenbarungseid für den Klimaschutz". Deren Vertreter konterten in der sich wiederholenden Grundsatzdebatte genervt. Der Bürgerentscheid habe einen Fehler gehabt, sagte Grünen-Fraktionsvize Dominik Krause. Er habe die Frage ausgelassen, "welche Kröte" die Münchner als Alternative für die Steinkohle schlucken müssten. Nach drei Jahren Diskussion habe sich gezeigt, dass die Kröte ein Gaskraftwerk sei. Wer das abstreite, sei weder ehrlich noch seriös.

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SZ vom 11.11.2020
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