Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Wenn Schüler zurückstehen, weil man Geflüchteten hilft

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Die Stadt bringt ukrainische Geflüchtete in einem Gymnasium am Bahnhof unter - und schickt die Schülerinnen und Schüler in den Distanzunterricht. Das ist riskant, weil es zwei Gruppen gegeneinanderstellt.

Kommentar von Bernd Kastner

München steht auf und hilft. Die Bürgerinnen und Bürger protestieren gegen Putins Krieg in der Ukraine und spenden für Geflüchtete; Stadt und Freistaat bereiten sich auf Tausende Ankommende vor, die Hilfsorganisationen stehen bereit. München empfängt die Flüchtlinge mit offenen Armen. Irritierend aber ist, dass die Stadt, um eine Erstaufnahmestelle einzurichten, ausgerechnet eine Schule für eine Woche schließt. Geflüchtete nächtigen auf Feldbetten in Klassenzimmern des Luisengymnasiums, ehe sie in andere Unterkünfte geschickt werden.

Die Schule liegt direkt beim Hauptbahnhof und gehört der Stadt, war also rasch verfügbar. Was gut klingt, ist eine ungute Notlösung. Sie lindert die Not der Geflüchteten, vergrößert aber die der Schülerinnen und Schüler des Luisengymnasiums. Sie werden nach Hause geschickt, in den Distanzunterricht. Gewiss, diese eine Woche geht vorüber, und doch liegt in ihr die Gefahr einer gesellschaftlichen Polarisierung.

Die Schließung nach den Faschingsferien trifft Hunderte Schülerinnen und Schüler, die in zwei Jahren Pandemie schon viel mitgemacht und entbehrt haben. Es trifft besonders junge Kinder und deren Eltern, die spontan Betreuung organisieren müssen, und es trifft Jugendliche im Abitur-Endspurt. Hinzu kommt, dass viele junge Menschen das Bedürfnis haben, sich im direkten Gespräch über Politik und Krieg auszutauschen, Fragen zu stellen und Antworten zu suchen. Auch dafür ist Schule da in diesen Zeiten. Im Luisengymnasium geht das erst mal nicht.

Hätten die städtischen und staatlichen Behörden nicht alternativ Hotelzimmer organisieren können? Die Betreiber sind bestimmt hilfsbereit, zumal nur wenige Touristen in der Stadt sind. Ließen sich nicht Unterkünfte nutzen, die vielleicht am Stadtrand liegen, aber mit einem Shuttle-Bus gut erreichbar wären? Solche Fragen zu stellen bedeutet nicht, die Zwänge im Krisenstab zu ignorieren - es galt, schnell viele Schlafplätze zu beschaffen. Es bedeutet auch keineswegs, Geflüchteten nicht helfen zu wollen, ganz im Gegenteil. Alternativen zu Notunterkünften in Schulen helfen besser und auf Dauer.

Die Behörden sollten alles vermeiden, was schon nach wenigen Kriegstagen zur Saat einer gesellschaftlichen Polarisierung werden könnte. Sie dürfen, solange es Alternativen gibt, nicht Gelegenheit zum Gegeneinander schaffen, niemand sollte die Not der Flüchtenden gegen die Bedürfnisse der Menschen in München ausspielen können. Stadt und Regierung von Oberbayern müssen sich untereinander abstimmen und darauf achten, die Hilfsbereitschaft weiter zu stärken. München wird diese Solidarität in den kommenden Monaten noch brauchen, und die Menschen aus der Ukraine erst recht.

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