Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Stadtflucht mit sauberen Händen

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Unser Autor musste sich erst daran gewöhnen, dass hier Menschen Urlaub auf dem Bauernhof machen. In seiner Heimat will niemand als Farmer bezeichnet werden.

Kolumne von Olaleye Akintola

Es sah aus, als würde mein Nachbar mit seiner Familie umziehen. Sie hatten haufenweise Taschen und Koffer dabei - sogar der Hund und die Katze saßen mit im Auto. Doch die Familie hatte nicht vor, den Wohnort zu wechseln: Es ging in den Urlaub, östlich von München. In ein Bauernhaus.

Kaum jemand kann stolzer auf sein Werk sein als ein Landwirt. Er ist der Essenskorb, der Ernährungsgarant der Gesellschaft, ob in Lagos oder in München. Die Saison zum Anpflanzen und Säen der Felder steht in Bayern wieder bevor, damals hatte sie bereits begonnen. Meine Nachbarn werden auf dem Land sicherlich sehr viel zu tun bekommen, ihre Hände werden Erde zu spüren bekommen, dessen war ich mir sicher. Sie hatten zwar keine Schaufeln und Harken im Gepäck, davon dürfte der Bauer vor Ort aber sicher genügend haben.

Ich erinnere mich an Besuche auf der Farm meines Onkel in meinem damaligen Heimatort Oyo in Südwest-Nigeria. Eine Farm, wo willkommen war, wer mithalf. Beim Einpflanzen von Taro-Trieben, von Bananenbäumen und Cassava-Wurzeln. Zur Belohnung rösteten wir am Abend Jamswurzeln über dem Holzfeuer, verbrannten Gras und träufelten Palm-Öl über die geschnittenen Wurzeln. Hinzu kam roher Pfeffer und geröstetes Kaninchenfleisch. Und hier? Die Landwirtschaft ist geprägt von Mechanik und Industrie, nicht mehr so sehr von Handarbeit. Insofern beneidete ich meine Nachbarn nicht wirklich. Auch das Feld haben die Bauernhof-Touristen nie gesehen. Ihre Hände sind sauber, von schwarzen Rändern unter den Nägeln keine Spur.

Es ist wie eine urbane Kurzzeitflucht, eine Migration aufs Land, zwei, drei Wochen zur Erholung, weil das städtische Leben ja so hart ist. Danach fahren sie wieder zurück und man fragt sich, warum nicht viel mehr Leute dort bleiben. Also dauerhaft. Wo die Luft noch rein und Leben und Nahrung natürlich sind. Aber irgendwie macht das fast keiner.

In Nigeria ist es ähnlich. Die Großstadtbevölkerung von Lagos will von Natur und Landwirtschaft größtenteils nichts wissen. Soziale Anbindung und Jobmöglichkeiten, die Vorteile der Großstadt also, sind vielen wichtiger. Hinzu kommt: Praktisch niemand in Nigeria möchte als Farmer bezeichnet werden oder in irgendeiner Form mit Landwirtschaft in Verbindung gebracht werden. Im Großraum München ist bekannt, dass viele Bauern mit Veränderungen der bayernweiten, nationalen und europäischen Gesetze zu kämpfen haben. Dennoch, so scheint es, wissen manche städtischen Urlauber Bauernhöfe zu schätzen. Die Frage ist nur: Täten sie das auch, wenn sie mit anpacken müssten?

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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SZ vom 24.01.2020
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