Süddeutsche Zeitung

Freizeit in München:Mit Schlägern auf der Lauer

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In München ist ein neuer Kampf um die besten Plätze entbrannt - denen an der Tischtennisplatte. Wenn selbst einschüchternde Blicke nicht zum Erfolg führen, hilft nur noch eins: Rundlauf.

Glosse von Christiane Lutz

Es gab in München mal eine Zeit, da standen die Menschen noch für die Opernfestspiele Schlange. Sie standen in aller Herrgottsfrühe am Tag des Vorverkaufsstarts auf, schmierten Butterbrote, packten diese Proteinriegel ein, falls der Kampf länger dauern würde. Manche campierten gar auf dem harten Asphalt vor der Vorverkaufsstelle, sie umkreisten einander misstrauisch, auf dass sich keiner vordrängle in der Schlange, lauerten auf Tickets der besten Kategorie. Wenn das Ziel hehr ist, ist dem Münchner jedes Mittel recht und kein Preis zu hoch.

2023 hat sich die Situation dramatisch verändert. Der Kampf um die besten Plätze hat sich verlagert, heraus aus den Tempeln der Hochkultur hinein in die versteckten Winkel von Parkanlagen, Isarauen, Spielplätzen und Schulhöfen. Der hotteste Spot der Stadt, die besten Plätze, die sind inzwischen die an den Münchner Tischtennisplatten. Richtig gehört. Tischtennis. Dieser Kindersport, den man in der Schule in Ermangelung eines Schlägers durchaus auch mit dem Mathebuch betreiben konnte.

Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich Pingpong klammheimlich zu einem angesagten Event mindestens der Hausnummer Opernfestspiele entwickelt. Der Andrang an den viel zu wenigen Tischtennisplatten ist entsprechend groß: In aller Herrgottsfrühe stehen die Münchner auf, schmieren Butterbrote und packen diese Survival-Riegel ein, manche campieren auch auf dem harten Asphalt, um morgens die ersten an den Platten zu sein. Rucksäcke werden auf Platten gelegt wie Handtücher auf Poolliegen im Robinson-Club: schon besetzt.

Wer spielt, dominiert das Game. Und wer zu spät kommt in die Parkanlagen, dem bleibt nur, strategisch zu handeln. Welches Match sieht so aus, als könnte es gleich zu Ende sein? Wer knickt ein unter den einschüchternden Blicken und räumt freiwillig das Feld? Es macht Sinn, sich schwächliche Opfer auszusuchen, unerfahrene. Wie ein Tiger die Antilope umkreist man die besetzten Platten, jederzeit bereit, aus der Deckung hervorzubrechen, sollte jemand die Flucht ergreifen.

Die Teenager da drüben sind zwar jung, sehen aber schon mal nicht so aus, als würden sie in den kommenden drei Stunden ihr Spiel beenden. Hat da jetzt auch noch einer Nahrung für alle geholt? Ein bedrohliches Schlägerschwingen lässt sie kalt, mehrmaliges entschlossenes Vorbeimarschieren an ihrer Platte ebenfalls. Sie zucken nicht. Da plötzlich spricht einer. "Wollt ihr mitspielen?", fragt er. "Rundlauf? Wäre doch lustig." Erstauntes Schlägersinkenlassen. Warum eigentlich nicht? Denn das ist ja das Schöne am Tischtennis gegenüber einer Opernpremiere: Man kann den Platz auch teilen. Wenn's unbedingt sein muss.

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