Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Zwischen Allergie und Schuldenfalle

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Ayse Y. hofft, dass es der Familie nach der Privatinsolvenz besser geht und die Söhne ihre Träume verwirklichen können.

Von Berthold Neff, München

Es sind schwere Zeiten im Moment, aber das Schlimmste hat Ayse Y. (Namen geändert) schon hinter sich, hoffentlich. Zehn Tage lag sie mit Corona im Bett, fühlte sich sehr schlecht, aber nicht so, dass sie einen Platz in der Klinik oder gar auf der Intensivstation gebraucht hätte. Sie konnte von Glück reden, denn auch wenn sie die Infektion sehr geschwächt hatte - für ihre beiden Kinder war sie dennoch da. Das ist der 45 Jahre alten Frau auch sehr wichtig: "Das Wichtigste ist, dass die Kinder glücklich sind."

So einfach ist das aber nicht zu bewerkstelligen, wenn das Geld hinten und vorne nicht reicht. Und wenn man in der Verwandtschaft nicht darüber reden darf, dass man in die Schuldenfalle geraten ist, das Konto gepfändet wurde. Dabei war es ja nicht so, dass man auf großem Fuß gelebt hätte seit der Heirat vor elf Jahren. Ihren Mann Mahir Y. hat sie in Istanbul kennengelernt, bei einer Hochzeit in der Verwandtschaft. Er ist um einiges jünger, und es war auch nicht Liebe auf den ersten Blick, aber sie haben sich von Anfang an gut verstanden.

Für sie gab er seine Existenz in der Türkei auf, wo er in der Druckerei des Vaters mitgearbeitet hatte. In Deutschland absolvierte er dann erst einen dreimonatigen Sprachkurs und begann, vermittelt über eine Leihfirma, bei BMW zu arbeiten. Dann brauchte man ihn dort nicht mehr, aber die Anschaffungen, die für die neue Wohnung in Moosach getätigt wurden, wollten bezahlt werden. Er versuchte sich als selbständiger Taxifahrer, aber die Pandemie machte diesem Vorhaben ein Strich durch die Rechnung.

Zum Glück fand er dann schnell einen neuen Job, bei einer Stahlbaufirma im Münchner Umland. Die Arbeit ist hart, aber er hält das aus. Beißt die Zähne zusammen, wenn der Rücken schmerzt. Oder wenn ihm eine Betontreppe gegen das Knie kracht, weshalb er jetzt durch die Wohnung humpelt und man ihm die Schmerzen im Gesicht ansieht.

Das Lachen der beiden Buben entschädigt für alles. Die Eltern achten sehr darauf, dass sie ihre Hausaufgaben gewissenhaft erledigen. Und sie bemühen sich, sie auch anderweitig zu fördern. Bilge, mit elf Jahren der ältere der beiden, hat jahrelang nebenbei eine Schauspielschule besucht, "das hat mir viel Spaß gemacht", erzählt er. Corona hat auch dies beendet, und auch das Fußballtraining zwei Mal in der Woche musste dann ausfallen. Bilge besucht die Ganztagsschule, ist also den ganzen Tag über gut aufgehoben.

Das gilt auch für Baran, den Jüngsten, sechs Jahre alt. Er besucht die Moosacher "Arche", wird dort gut gefördert. Das ist auch nötig, denn er hat Großes vor, er will Polizist werden, während sein großer Bruder "etwas mit Computern" machen will, dementsprechend gehört Mathematik, neben Deutsch, zu seinen Lieblingsfächern. Gesundheitlich geht es beiden nicht besonders, und das ist auch der Grund, weshalb die Familie dringend neue Anschaffungen braucht. Beide leiden unter einer Allergie der Atemwege. Um die Staubbelastung zu reduzieren, haben die Eltern den Teppichboden rausgerissen und die Vorhänge entfernt.

Die Kinder benötigten Spezialwäsche, aber das knappe Budget ließ dies nur unter großen Mühen zu, der Schuldenberg wuchs. Das Kinderzimmer musste umgestaltet werden, die Spielecke unter dem Hochbett musste weichen, weil sich dort zu viel Staub sammelte, selbst wenn täglich sauber gemacht wurde. Die neuen Betten und die Wäsche, die nicht allergen sind, sind teuer, einiges steht noch aus, das würden die Eltern den Kindern gerne kaufen, um den Zustand zu verbessern.

Ayse Y. zerbricht sich immer wieder den Kopf, wie sie selbst dazu beitragen könnte, das Familieneinkommen zu verbessern. Dass man hart arbeiten muss, um etwas zu schaffen, hat sie ja in der Familie erlebt, als sie in Freimann aufwuchs. Der Opa war als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, und als dann ihr Vater eine Familie gründete und die ersten Kinder geboren wurden, musste Ayse auf die Brüder aufpassen, "ich habe schon früh die Mutterrolle übernommen". Ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau brach sie dann ab, arbeitete einige Zeit in der Heckscher Klinik, wo die Mutter schon seit Jahrzehnten beschäftigt war.

Ayse Y. weiß, dass alles an ihr hängt, wenn der Mann den ganzen Tag in der Arbeit ist und am Abend müde nach Hause kommt. "Wenn eine Frau kaputtgeht, geht die Familie kaputt", sagt sie. Trotzdem will sie versuchen, wieder einen Job zu finden, damit es der Familie auch finanziell besser geht. "Vielleicht in der Nachtschicht am Fließband, oder etwas Ähnliches." Vorerst gilt ihre Sorge allerdings den Kindern. Und sie hofft, dass es allen besser geht, wenn das Verfahren der Privatinsolvenz beendet ist. Dann werden sie einen neuen Anfang starten, der Kinder wegen. Damit ihnen der Start ins Leben gut gelingt.

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