Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Hinter den Fassaden

Lesezeit: 4 min

Ein Netz von Innenhöfen, Passagen und Arkaden durchzieht die Altstadt. Das ermöglicht einen fast schnee-, regen- und eisfreien Bummel durch die Münchner Architekturgeschichte vom Mittelalter bis zur Moderne.

Von Martin Bernstein

München ist keine Stadt der überdachten Passagen wie Hamburg. München ist nicht berühmt für seine von Arkaden gesäumten historischen Innenhöfe wie Florenz. München hat schon gar keine "Ville Souterraine" wie die kanadische Metropole Montreal. München hat aber von all dem etwas. Wer es geschickt anstellt, kann die Innenstadt weitgehend regen-, schnee- und eisfrei durchstreifen und dabei, pandemiebedingt gewollter Nebeneffekt, größeren Menschenansammlungen aus dem Weg gehen.

Dass das funktioniert, dass unter- wie überirdische Passagen, Laubengänge und Innenhöfe als dicht geknüpftes Netz die Altstadt durchziehen und zum Bummel durch eine Stadt hinter den Fassaden einladen, hat viel mit Münchens Historie und mit dem behutsamen, städtebaulich wie architektonisch hochwertigen Wiederaufbau nach dem Krieg zu tun. Und mit einer bewussten Politik der (Wieder-)Öffnung alter Wege durch das Planungsreferat in den vergangenen Jahrzehnten.

Unser Stadtspaziergang hinter den Fassaden folgt einer vom Planungsreferat in einem Flyer vorgeschlagenen Route. In Spitzenstunden halten sich laut Stadtbaurätin Elisabeth Merk bis zu 17 000 Personen gleichzeitig in der Fußgängerzone auf - die Einwohnerzahl einer Kleinstadt. "Bestehende sowie neue und wiederbelebte Wegeverbindungen und Passagen entlasten die stark genutzten Hauptachsen und lockern die Baustrukturen und Raumfolgen auf", schreibt Merk. "Höfe und Plätze bieten Orte der Ruhe und Erholung im Trubel der Innenstadt."

Deshalb beginnt der Spaziergang auch an einem üblicherweise besonders trubeligen Ort - dem Viktualienmarkt. Einst führte ein Weg direkt zum etwas höher gelegenen Rindermarkt. Aus dem alten Durchgang wurde 2009 durch den Neubau eines Hotels eine moderne Passage mit Läden und Restaurant. Dann geht es weiter über den Marienplatz zum 1867 bis 1909 in drei Bauabschnitten durch Georg von Hauberrisser erbauten Neuen Rathaus, das mit seiner Vielzahl an Höfen und Durchgängen spätmittelalterlichen Bürgerstolz simulieren sollte.

Ein Ort, an dem SZ-Redakteure wehmütig werden: die Hofstatt.

Der Alte Hof war Mitte des 14. Jahrhunderts nicht nur europäisches Macht-, sondern auch ein geistiges Zentrum.

Die Fassade der Residenzpost schuf Leo von Klenze nach dem Vorbild des Florentiner Findelhauses.

Der Kabinettsgarten erinnert an maurische Anlagen.

Die 1955 eröffnete Theatiner-Passage schafft eine Verbindung zwischen Residenz- und Theatinerstraße.

Die Fünf Höfe schaffen zahlreiche neue Wegebeziehungen durch die Altstadt.

Der Asam-Hof sollte die von Wegzügen betroffene Innenstadt wieder mit Leben füllen. Momentan ist hier aber - Stichwort Corona - wenig los.

Schräg gegenüber biegt der Spaziergänger nach rechts von der Dienerstraße ab und gelangt durch einen gotischen Torbogen oder einen Durchgang gleich hinterm Dallmayer ins echte Mittelalter, nämlich in die Kaiserresidenz Ludwigs des Bayern. Der "Alte Hof" war Mitte des 14. Jahrhunderts nicht nur ein europäisches Macht-, sondern ebenso ein geistiges Zentrum, an dem Denker wie Marsilius von Padua oder William von Ockham ein und aus gingen, die am Beginn moderner politischer Publizistik standen und die den Kaiser in seinem Kampf gegen den weltlichen Herrschaftsanspruch der Päpste unterstützten. Von 2003 bis 2006 wurden unter Federführung der Architekten Peter Kulka sowie Auer und Weber und des Staatlichen Hochbauamts der Nord- und Ostflügel des Alten Hofs vervollständigt und der denkmalgeschützte Lorenzistock saniert.

Umgeben ist der Alte Hof gleich von mehreren sehenswerten Innenhöfen: die mittelalterlichen Platzlgassen, die 1988 wiedereröffnet wurden; die Alte Münze mit ihrem dreigeschossigen Renaissance-Arkadeninnenhof aus den 1560er-Jahren; und das Palais an der Oper, die ehemalige Residenzpost. Klassizistisch ist dort noch die Fassade zum Max-Joseph-Platz. Leo von Klenze schuf sie nach dem Vorbild des Florentiner Findelhauses. Der Innenhof des 2012 errichteten Neubaus hinter dieser Fassade ist zugänglich und dient als Passage auf unserem Weg zur Residenz.

Unter den vielen Höfen und Durchgängen im Schlosskomplex der Wittelsbacher ist vor allem der versteckte Kabinettsgarten neben der Allerheiligen-Hofkirche zu erwähnen. Der 2003 vom Landschaftsarchitekten Peter Kluska neu gestaltete Garten erinnert mit seinen bunten Bodenkacheln in den Wasserspielen einerseits an den einstigen Mosaikschmuck der Kirche, weckt aber auch Reminiszenzen an maurische Anlagen wie den weltberühmten Gärten auf der Alhambra im spanischen Granada.

Wer mag, kann noch einen Abstecher in die Hofgartenarkaden machen. Zwischen 1826 und 1829 wurden die Bogengänge von Schülern des Malers Peter von Cornelius mit historischen Fresken ausgemalt. "In 16 Wandgemälden sollten jeweils ein kriegerisches Ereignis und eine Friedenstat stellvertretend für jedes der acht Jahrhunderte Wittelsbacher Herrschaft über Bayern nebeneinandergestellt werden", erläutern die Experten der Schlösser- und Seenverwaltung. Mit diesem öffentlich zugänglichen "Bilderbuch" bayerischer Geschichte wollte König Ludwig I. Loyalität und Patriotismus seiner Untertanen fördern, denn: "Öffentliche Kunstwerke ... wirken auf das Volk."

Auch die Verbindung zwischen Residenz- und Theatinerstraße schaffen überdachte Passagen. Eine führt durch das 1723 bis 1728 von Joseph Effner errichtete Preysing-Palais, die andere ist die 1955 geöffnete Theatiner-Passage. Auf die baulichen Besonderheiten dieses Durchgangs weist das Planungsreferat hin: "Charakteristisch im Inneren der Passage ist die nach oben geschwungene Freitreppe, das Filmkunst-Lichtspieltheater aus dem Jahr 1956 und das gefächerte Glasdach in der Mitte der Passage." Architekten dieses gelungenen Nachkriegs-Ensembles waren Jean Ehard und Hanns Atzenbeck.

Durch die Fünf Höfe und den Schäfflerblock gelangt der Spaziergänger zurück ins Herz der Altstadt. Die Höfe können "als zeitgenössisches Gegenstück zu den historischen Höfen der Residenz gesehen werden", heißt es im Flyer aus dem Planungsreferat. Tatsächlich schafften die Architekten Herzog & de Meuron und Hilmer & Sattler das Kunststück, zahlreiche neue Wegebeziehungen durch die Altstadt zu schaffen und zugleich 60 Prozent der alten Bausubstanz zu erhalten.

Weiter führt unser Spaziergang entweder durch die 1957 von Sep Ruf und Theo Papst geschaffene Neue Maxburg und die unterirdischen Stachus-Passagen oder durch einen kleinen Durchgang am Chor der Frauenkirche vorbei und durch die nur für Fußgänger passierbare, teilweise überdachte Thiereckstraße und die Kaufinger-Tor-Passage. Die beiden Varianten treffen sich an einem Ort, an dem altgedienten Redakteuren der Süddeutschen Zeitung noch immer wehmütig ums Herz wird: die Hofstatt. Auf dem ehemaligen SZ-Stammgelände "eröffnete im Jahr 2013 ein innerstädtisches Karree, das historische Gebäude und Fassaden mit Neubauten zeitgenössisch kombiniert", wie es das Planungsreferat formuliert. Erhalten blieben das frühere Redaktionsgebäude an der Sendlinger Straße und das Druckergebäude. Entworfen wurde das Ensemble von Meili & Peter Architekten aus Zürich.

Nach so viel Moderne führt uns eine kleine Passage, die am Beginn der Brunnstraße links abzweigt, noch einmal zurück in eine historische Blütezeit Münchens. Zumindest dem Namen nach. Direkt neben der 1733 bis 1748 von den Brüdern Cosmas Damian und Egid Quirin errichteten und ausgestalteten Asamkirche schuf 1982 das Münchner Architekturbüro ASP den Asam-Hof, laut Planungsreferat "eines der ersten Projekte, das die von drastischen Wegzügen betroffene Innenstadt wieder mit Leben zu füllen versuchte. In der Öffentlichkeit fand das damals nur mäßigen Anklang: Die Mieten waren zu hoch und der Versuch, den alten Münchner Stil architektonisch nachzuempfinden, wurde als ,Kulissenschieberei' abgetan."

Wenn im Sommer, hoffentlich, das Leben wieder pulsieren darf und die Kneipen und Cafés bis auf den letzten Platz gefüllt sind, wird man sich gleichwohl dort wie in vielen anderen Höfen der Münchner Innenstadt zufrieden niederlassen und sich denken: "Mei, schee is' scho'..."

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Quelle:
SZ vom 05.01.2021
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