Süddeutsche Zeitung

Altstadt:Sonnenstraße soll ein "Central Park" werden

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Das fordert der Bund Naturschutz. Die verkehrsreiche Trasse war einst ein Boulevard, ein grünes Band zwischen dem Nußbaumpark und dem Alten Botanischen Garten.

Von Thomas Anlauf

Kleine Kinder spielen auf der Wiese mitten auf der Sonnenstraße, ihre Eltern sitzen auf Parkbänken im Schatten großer Bäume. Radfahrer rollen auf dem Altstadtradlring entlang von breiten Trassen. Kein Auto parkt am Straßenrand. Nur eine Straßenbahn rauscht ruhig durch den grünen Park, der sich vom Sendlinger-Tor-Platz zum Stachus zieht und den Nußbaumpark mit dem Alten Botanischen Garten verbindet. Wer aus dem Hauptbahnhof tritt und auf dem autofreien Bahnhofsvorplatz steht, blickt durch die Fußgängerzone auf das grüne Band, das sich an die Altstadt schmiegt.

Eine allzu gewagte Vision für eine der verkehrsreichsten innerstädtischen Autoschneisen Europas? Nein. Bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts war die Sonnenstraße ein grüner Boulevard. Für Martin Hänsel ist es nun höchste Zeit, den Schritt vorwärts in die Vergangenheit zu wagen. Der stellvertretende Geschäftsführer des Bund Naturschutz in München fordert für die Sonnenstraße einen "Central Park".

"Es ist mehr als überfällig, sich hier endlich konkrete Gedanken zu machen", sagt Hänsel. Man müsse sich nur die einstmals grüne Achse zum Vorbild nehmen. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der Stadtplaner Friedrich Ludwig von Sckell den Bereich der heutigen Sonnenstraße als Gartenstadt konzipiert. Es wurde nach dem Konzept der Sonnenbaulehre von Christoph Faust gebaut, das heißt, die Gebäude wurden zur Sonne ausgerichtet, was der Straße schließlich zu ihrem Namen verhalf. Die Sonnenstraße war sozusagen ein grüner Ersatz für die alten Stadtmauern, die die heutige Altstadt umgaben. Damals floss auch noch der Westliche Stadtgrabenbach parallel zur Straße nach Norden in Richtung Hofgarten.

Die Sonnenstraße muss ein beliebter Treffpunkt für die Münchner gewesen sein. Hier traf man sich, bevor man ins Theater ging, oder schlenderte gemeinsam unter den Bäumen. Erst die Nationalsozialisten zerstörten das durchdachte Ensemble, Hitler wollte eine breite Aufmarschschneise. Er ließ 1938 die Matthäuskirche niederreißen, die erste evangelische Kirche Münchens. Sie stand zuvor jahrzehntelang zwischen dem Stachus-Rondell und dem Justizpalast mitten auf der Sonnenstraße. Die Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg ließen von der Idee einer Parklandschaft nichts mehr übrig. Zerstörte Gebäude wurden neu aufgebaut. Mit dem Wirtschaftswunder wurde die Sonnenstraße in den Fünfzigerjahren zum Altstadtring ausgebaut. Die Verkehrsschneise trennt seither Altstadt und Ludwigsvorstadt.

Seit den Achtzigerjahren gibt es immer wieder Vorschläge wie die des Architekten Stephan Braunfels, die Sonnenstraße wieder zu einem Boulevard umzugestalten. Auch in der Koalitionsvereinbarung von Grünen/Rosa Liste und SPD/Volt findet sich die Vision wieder. Doch bislang ist nicht viel geschehen. Ein Boulevard Sonnenstraße mit weniger Fahrspuren und mehr Platz für Fußgänger werde weiterhin geprüft, heißt es bei der Stadt. Doch das reicht dem Bund Naturschutz längst nicht mehr. Martin Hänsel will nun in diesem Sommer mehrere Monate lang einen Container mitten auf dem Stachus aufstellen, in dem es Diskussionsrunden, Vorträge und Ausstellungen geben soll, um eine breite Bürgerbeteiligung sicherzustellen. Natürlich sollen auch die Stadtratsfraktionen eng einbezogen werden mit Beiträgen und Diskussionen. "Die Stadt beschäftigt sich schon so lange mit dem Thema, aber es fehlt an einer Idee und am Impuls", so Hänsel. Man müsse lediglich die städtischen Beschlüsse umsetzen - deutlich mehr Grün in der dicht bebauten Innenstadt, die Verwirklichung des Altstadtradlrings, der bereits vor eineinhalb Jahren beschlossen wurde und natürlich der Boulevard Sonnenstraße.

Die Naturschützer fordern beim Verkehr ein grundsätzliches Umdenken. "Wir müssen doch die Stadt von der schwächeren Seite der Verkehrsteilnehmer denken", sagt Hänsel. Natürlich solle es auf der Sonnenstraße weiterhin Trambahnen geben, daneben vor allem viel Platz für Fußgänger und Radfahrer. Auch Liefer- und Anwohnerverkehr müsse weiterhin möglich sein. Aber Hänsel kann sich vorstellen, dass dafür eine Spur genügen könnte - bislang sind es bis zu acht Spuren. Ein fertiges Konzept hat der Bund Naturschutz auch noch nicht auf dem Tisch liegen. Doch dafür soll es ja die Diskussionsmöglichkeiten im oder vor dem Central-Park-Container geben.

Die Zeit dränge: Angesichts des Klimawandels gebe es so viele Aufgaben zu bewältigen. Es gehe nicht mehr darum, den Verkehr optimal zu verteilen, sondern von zu viel Verkehr wegzukommen und ihn umzuverteilen auf umweltfreundlichere Fortbewegungsmittel. Gerade die Sonnenstraße bietet laut Hänsel eine große Chance. Sie würde bei einem Umbau als Hauptverkehrsachse wegfallen. Da es jedoch längst Pläne gibt, auch den Verkehr in Blumen- und Frauenstraße als Verlängerung des Altstadtrings zu reduzieren, dürfte die Zufahrt in die Innenstadt für Autofahrer bald weniger attraktiv werden.

Den Diskussions-Sommer am Stachus sieht Hänsel deshalb nicht nur auf den Umbau der Sonnenstraße beschränkt. Es solle eine bürgerschaftliche Plattform für die Verkehrswende, den Klimaschutz und eine nachhaltige Stadtplanung in München werden. Denn bislang seien ihm alle bisherigen Maßnahmen seitens der Stadt "zu mutlos", um den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen zu sein: "Lasst uns jetzt Nägel mit Köpfen machen."

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SZ vom 10.04.2021
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