Süddeutsche Zeitung

Wohnungsbau in Ramersdorf:Protest gegen das Fällen von 120 Bäumen

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An der Ottobrunner Straße sollen mehr als hundert Bäume einem Bauprojekt weichen, darunter etliche klimaresistente Arten. Nun schaltet sich ein Verein von Landschaftsschützern aus der Oberpfalz ein.

Von Hubert Grundner, Ramersdorf

Die Stadt stößt an ihre natürlichen Wachstumsgrenzen. Mit diesem Dilemma sehen sich Münchner Politiker vor allem konfrontiert, wenn sie Wohn- und Gewerbebauten genehmigen wollen. Dabei kommt München nicht bloß an Grenzen, sondern überschreitet diese auch immer öfter. Etwa, wenn zu Gunsten neuer Siedlungen, Bürokomplexe oder Straßen wertvolles Grün unwiederbringlich verloren geht.

Ein solcher Fall scheint sich gerade an der Ottobrunner Straße 3 anzubahnen, wo der Neubau einer Wohnanlage mit Tiefgarage geplant ist. Bislang steht auf dem rund 8000 Quadratmeter großen Grundstück nur ein Haus, aber es recken viele prächtige Bäume ihre Kronen in den Himmel. Weshalb gegen das Bauprojekt auf lokaler Ebene auch Protest laut wird.

Während das kaum verwundert, überrascht eine andere Stimme umso mehr, die sich in einem Schreiben an das Planungsreferat zu Wort gemeldet hat: Der in der Oberpfalz beheimatete Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB) spricht sich ebenfalls gegen die Nachverdichtungspläne an der Ottobrunner Straße 3 aus. Zwar räumt dessen Vorsitzender Johannes Bradtka ein, dass bauliche Nachverdichtungen in Städten notwendige und unstrittige Maßnahmen zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und zur Minimierung der Flächeninanspruchnahme in den Randbereichen seien. "Mit großer Sorge sehen wir jedoch, dass Nachverdichtungen in München oftmals zu Lasten wertvoller innerörtlicher Grünflächen erfolgen, die für das Stadtklima, die Biodiversität und für die Erholung und die Gesundheit der Stadtbevölkerung eine große Bedeutung besitzen."

Bradtke moniert nun, dass an der Ottobrunner Straße 3 in dem vorderen an der Straße liegenden Grundstücksteil nahezu der gesamte Baumbestand mit rund 120 wertvollen Bäumen zum Zwecke einer Bebauung gerodet werden soll. Hierbei handele es sich um teilweise starke, alte heimische Baumarten, beispielsweise um Eiben, Rotbuchen, Hängebuchen, Berg- und Spitzahorne, Eschen und Säuleneichen. Zusätzlich gediehen zahlreiche Gastbaumarten - Scheinzypressen, Zedern, Schwarzkiefern, Trompetenbäume, Chinesisches Rotholz, Ginko, Mammutbäume - auf der Fläche, die künftig als klimaresistente Arten, insbesondere in Städten, eine noch viel größere Bedeutung als bisher haben werden.

Hervorzuheben sei der hervorragende, kerngesunde Zustand der hoch gewachsenen Bäume mit Stammumfängen von bis zu über vier Metern, Höhen von bis zu 23 Metern und Baumkronen von bis zu 16 Metern sowie der teilweise außerordentlich hohe Seltenheitswert dieser Bäume, beispielsweise ein Früchte tragender Ginko-Baum. Mit einem Alter zwischen 60 und 160 Jahren seien diese Bäume in ihrer Hochleistungsphase der CO₂- und Feinstaubbindung.

Die Rodung dieses Baumbestands würde jedenfalls die erst kürzlich vom Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung beschlossene "Baumschutzkampagne" konterkarieren, warnt Bradtka. Überhaupt scheint man von der Oberpfalz aus das Geschehen in der Landeshauptstadt genau zu verfolgen. So weist der VLAB-Vorsitzende auf Münchens Biodiversitätsstrategie hin, in der unter anderem auf die steigenden Verluste an naturnahen Freiflächen aufmerksam gemacht wird.

Als einen Handlungsschwerpunkt in dieser Strategie zähle das Münchner Planungsreferat die "verstärkte Berücksichtigung von Biodiversitätsgesichtspunkten bei der Festsetzung von Bebauungs- und Freiflächengestaltungsplänen" auf. Gerade der alte Baumbestand an der Ottobrunner Straße 3 diene zahlreichen gefährdeten und nach nationalem und internationalem Artenschutzrecht geschützten Vogel- und Fledermausarten als wertvoller Lebensraum.

Abschließend bittet der Vorsitzende des VLAB die Mitarbeiter des Planungsreferats darum, die laufende Prüfung des Antrags auf Vorbescheid und die daraus resultierende Rodung von 120 Bäumen an der Ottobrunner Straße 3 zu überdenken und unter den Gesichtspunkten der Biodiversität, des Arten- und Klimaschutzes und der Vorbildfunktion der Landeshauptstadt München gründlich abzuwägen. Wertvolle Grünanlagen mit altem Baumbestand sollten, auch wenn sie sich im Privatbesitz befinden, nicht als Spekulationsobjekte dienen, sondern grundsätzlich im öffentlichen Interesse für den Biodiversitäts- und Klimaschutz erhalten bleiben.

In der gleichen Angelegenheit und mit gleicher Stoßrichtung hat sich inzwischen die Stadtratsfraktion von ÖDP und München-Liste positioniert. Sie hat einen Antrag formuliert, der in der Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung am 15. September behandelt werden soll. Bei dessen Annahme würde das Planungsreferat beauftragt, für den Bebauungsplan 1638, der sich noch in Aufstellung befindet, die weiteren Schritte einzuleiten.

Zur Erklärung: Das Anwesen Ottobrunner Straße 3 liegt im Umgriff des Bebauungsplans 1638. Dieser erstreckt sich zwischen der Ottobrunner Straße im Westen, dem Diakon-Kerolt-Weg im Norden, dem Wolf-Huber-Weg im Osten und der Gleißnerstraße im Süden. Ziel des Bebauungsplans soll laut Antrag auf der einen Seite eine maßvolle Wohnbebauung im südlichen Bereich des Bebauungsplans und der Erhalt des wertvollen Baumbestands und der klimatologisch wichtigen Grünflächen auf dem Gelände der Ottobrunner Straße 3 sein.

Bei den weiteren Planungen sollten eine spezielle Artenschutzrechtliche Prüfung vorgeschrieben und der außergewöhnliche Baumbestand als Ganzes oder zumindest einzelne Bäume als Naturdenkmäler ausgewiesen werden. Der Bebauungsplan solle als Ganzes entwickelt werden. Baugenehmigungen und Vorbescheide für einzelne Bereiche sollten nicht erteilt werden. Für den Teilbereich Ottobrunner Straße 3 wollen die Antragsteller eine Veränderungssperre erwirken.

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SZ vom 23.08.2021
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