Süddeutsche Zeitung

Sternfahrt:Die Autobahn wird zum Radweg

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Aus allen Himmelsrichtungen fahren Tausende Radler bei der Sternfahrt in die Münchner Innenstadt. Es ist ein fröhlicher Ausflug, der jedoch einen ernsten Hintergrund hat.

Von Andreas Schubert

Stau auf dem Mittleren Ring - das kennt man sonst nur als Autofahrer. Doch an diesem Sonntag gehört der Ring den Radlern. Es sind so viele, dass sie nur langsam vorankommen, maximal mit zehn Kilometern pro Stunde, und immer wieder stockt es so arg, zum Beispiel am Luise-Kiesselbach-Platz, dass viele absteigen und lieber ein paar Meter schieben.

Die Radlerinnen und Radler sind jedoch nicht genervt, sondern gut gelaunt, was auch am überraschend guten Wetter liegen mag - vormittags war es noch eiskalt und nass. Sie klingeln, manche haben sogar Musik dabei. Neben älteren Teilnehmenden sind auch viele junge Menschen unterwegs, darunter Familien mit kleinen Kindern, von denen die Allerkleinsten zuweilen vorne im Lastenrad mitfahren.

Die Gelegenheit, mal auf dem Mittleren Ring zu radeln und - für viele ein Highlight - auf der Autobahn A96 zwischen Sendling und Blumenau, wollen sich viele nicht entgehen lassen. Allein auf diesem Autobahnabschnitt sind es etwa 10 000, heißt es seitens Fahrradklub ADFC und Verkehrsclub Deutschland (VCD). Auch auf der Autobahn staut es sich dann, auf den Brücken stehen Menschen und winken. Viele Radler parken kurz am rechten Fahrbahnrand, um mit ihren Smartphones Fotos oder Filmchen zu machen.

Als endlich die Ausfahrt Blumenau kommt, geht es wieder ein wenig zügiger voran. Aus Lautsprechern, die an der Strecke aufgestellt sind, tönt eine Frauenstimme, die Autobahn werde zum größten Radweg Münchens, das "juhu" in der Ansage sorgt für Heiterkeit.

Der fröhliche Ausflug hat einen ernsten Hintergrund: Mit der Sternfahrt macht der "Radentscheid Bayern" auf seine Forderungen aufmerksam. Die Ziele der Aktivisten sind schon seit Längerem bekannt. Kurz gesagt: Das Radeln soll in Bayern einfacher und sicherer werden. Das Radgesetz, das die Initiatoren dazu vorschlagen, ist nicht ganz so prägnant. Es umfasst 20 Seiten und sieht unter anderem vor, dass Kommunen bei der Planung entlastet werden, der Anteil des Radverkehrs bis zum Jahr 2030 auf 25 Prozent steigt und bei Straßenbauprojekten sichere Radspuren eingeplant werden.

Darüber hinaus soll etwa auch das Mitnehmen von Fahrrädern in öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtert werden, in Wohngebieten soll der umweltfreundliche Verkehr Vorrang genießen, es soll mehr Radschnellverbindungen geben, in Schulen soll die Verkehrserziehung auf umweltfreundliche Mobilität abzielen - und vieles mehr. Der Gesetzesvorschlag ist sehr detailliert und geht auf alle möglichen Bedürfnisse der sicheren und klimafreundlichen Mobilität ein.

Es gibt viele Unterstützer, wie man am Sonntag eindrucksvoll sehen konnte. Radfahrer strömen von Wolfratshausen, Weßling oder sogar aus Augsburg nach München, um Verbesserungen für Zweiräder zu unterstützen. Der ADFC spricht zunächst von etwa 15 000 und korrigiert die Zahl später nach oben auf 18 000.

Die A96 ist für eine Stunde gesperrt, aus Sicherheitsgründen in beide Richtungen. Die Überholspur, so die Auflage der Polizei, muss freibleiben, woran sich auch die meisten Radler halten. Auf den Routen in der Stadt freuen sich viele, dass sie endlich einmal auf breiten Fahrbahnen fahren dürfen und ganz legal nicht bei rot halten müssen.

Das Bündnis Volksbegehren "Radentscheid Bayern" wird getragen von ADFC und VCD Landesverband Bayern sowie den elf bayerischen kommunalen Radentscheiden. Unterstützt wird das Begehren vom Bund Naturschutz sowie den Landesverbänden von Grünen, SPD, ÖDP, Linke und Volt, alle Organisationen haben auf dem Königsplatz Infostände aufgebaut. Münchens ADFC-Vorsitzender Andreas Schön gibt sich auf der Bühne angesichts der zahlreichen Teilnehmer emotional: Es sei einfach "supergeil".

100 000 Unterschriften hat das Radbegehren gesammelt, 25 000 hätten gereicht. Derzeit liegt der Gesetzesentwurf beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der bis zum 12. Juni entscheiden muss, ob es zum Volksbegehren kommt. Sollte das der Fall sein, müssten zehn Prozent der Wahlberechtigten in Bayern, rund eine Million Bürger, für den Radentscheid unterschreiben, dann könnte es zum Volksentscheid kommen - es sei denn, der Landtag erlässt das Radgesetz direkt.

Am Rande der Demo haben auch Klimaaktivisten protestiert und sich auf dem wegen der Radldemo ohnehin gesperrten Nordabschnitt des Mittleren Rings von einer Brücke am Olympiapark abgeseilt. Etwa 20 Teilnehmer waren es der Polizei zufolge, nach einer Stunde war die genehmigte Aktion beendet, die sich gegen die Mobilitätsmesse IAA im Herbst richtete.

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