Süddeutsche Zeitung

Debatte um Straßennamen:Umbenennen, oder nicht?

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Ob mutmaßliche Antisemiten oder Kriegsverherrlicher: 45 Straßennamen mit "erhöhtem Diskussionsbedarf" hat das Münchner Stadtarchiv identifiziert. Aber wie mit diesem Erbe umgehen?

Von Jakob Wetzel

Gleich bei der ersten Straße habe es Streit gegeben, erzählt Ralph Erbar. 2012 ist die Poppelreuterstraße in Mainz umbenannt worden. Zuvor erinnerte sie an einen nationalsozialistischen Nervenarzt, jetzt heißt sie schlicht "Im Sommergarten". Damals hätten sich die jüngeren Anwohner für die Umbenennung ausgesprochen, die Älteren aber hätten das überhaupt nicht nachvollziehen können, sagt Erbar. Nachbarn würden nicht mehr miteinander reden.

Ralph Erbar ist Geschichtsdidaktiker an der Universität Mainz; bis 2016 war er Mitglied einer Arbeitsgruppe, die historische Straßennamen untersucht hat. Am Donnerstagabend ist er zu Gast gewesen im Münchner Rathaus, um davon zu berichten. Denn zwar haben auch die Münchner schon heftige Debatten um Straßennamen erlebt, um die einstige Von-Trotha-Straße in Waldtrudering etwa, die nun Hererostraße heißt. Doch viele weitere Auseinandersetzungen stehen der Stadt wohl noch bevor. Es geht nicht nur um ein paar Schilder aus Metall. Es geht darum, womit sich eine Stadt identifizieren will, und um die Deutung der Geschichte.

Eine Poppelreuterstraße gibt es in München nicht, die Problemfälle heißen anders: Hilblestraße zum Beispiel oder Alois-Wunder-Straße. Insgesamt 45 Straßennamen mit "erhöhtem Diskussionsbedarf" hat das Münchner Stadtarchiv identifiziert. Manche Straßen erinnern an mutmaßliche Antisemiten, andere an Kriegsverherrlicher, Nationalsozialisten, Rassisten oder andere, deren Tun mit demokratischen Werten schwer vereinbar scheint. 327 weitere Straßennamen hält das Stadtarchiv für wohl zumindest erläuterungsbedürftig. Und die Frage ist: Wie geht eine Stadt mit diesem Erbe um?

Erst einmal drüber reden, heißt es in München: Über die Problemfälle beugen sich Experten. Und am Donnerstag hatte die Stadt ins Rathaus eingeladen, damit auch Bürgerinnen und Bürger mitreden können - und um zu sehen, was andere Städte tun. Vertreter aus Berlin, aus Mainz und Salzburg waren gekommen. Denn München ist nicht alleine. Und auch andere Städte tun sich schwer. In Mainz etwa haben Historiker 17 fragliche Straßennamen identifiziert. Umbenannt wurde aber nur die Poppelreuterstraße. Bei zwei weiteren empfahlen sie eine Umbenennung, erfolgt ist die aber bislang nicht. In Salzburg wiederum hat im Juni ein Fachbeirat 13 Straßen identifiziert, die an Personen mit Nazi-Verstrickungen erinnern. Salzburgs Bürgermeister aber schloss Umbenennungen kategorisch aus.

Die Aufarbeitung in München sei "teilweise echt schiefgelaufen"

Umbenennungen sind für Erbar ohnehin nicht die beste Lösung. Kritische Straßennamen bärgen das Potenzial, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sagte er im Rathaus. Man solle lieber versuchen, die Namen im Gespräch zu halten. Sie auszutauschen, löse das Problem nicht. Bestimmte Namen seien aber verletzend, hielt Hamado Dipama vom Münchner Migrationsbeirat dem entgegen. Er verwies auf die Mohrenstraße in Berlin, die "M-Straße", wie er sie nennt, die an diesem Freitag in Wilhelm-Amo-Straße umbenannt wird. Mehrere Stadträte von Grünen, SPD und Linken plädierten dafür, sich von schwierigen Straßennamen zu trennen, denn eine Straßenbenennung impliziere Wertschätzung. Und Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland verwies auf das May-Ayim-Ufer in Berlin. Die Straße hieß ursprünglich Gröbenufer und erinnerte an einen Kolonial-Gouverneur. 2010 wurde sie umbenannt. Die Geschichte sei aber nicht verschwunden, sagte Della. Dort stehe nun eine Informationsstele, die versucht, die Auseinandersetzung mit der Geschichte wachzuhalten, "ohne dass ich den Straßennamen beibehalten muss, der eine Zumutung ist für schwarze Menschen."

Einig waren sich alle über eins: Man müsse die Bürger einbeziehen und offen über die Straßennamen sprechen. In München sei dies bislang "teilweise echt schiefgelaufen", sagte Linken-Stadtrat Stefan Jagel. Die Veranstaltung am Donnerstag sei "ein guter Auftakt, um das besser zu machen". Miteinander zu reden sei der Königsweg, das habe dieser Abend gezeigt, sagte auch Andreas Heusler vom Stadtarchiv. "Ich verspreche Ihnen, dass wir den Diskurs lebendig halten."

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SZ vom 02.10.2021
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