Süddeutsche Zeitung

Kriminalstatistik:München ist so sicher wie seit 40 Jahren nicht

Lesezeit: 3 min

Von Martin Bernstein

Zum ersten Mal seit 40 Jahren ist die Zahl der in Stadt und Landkreis München verübten Straftaten auf unter 100 000 gesunken. Das geht aus der Kriminalstatistik für das Jahr 2019 hervor, deren Eckpunkte Polizeipräsident Hubertus Andrä am Freitagmittag erstmals in einem Live-Stream präsentierte. Damit ist München nicht nur zum wiederholten Mal die sicherste Großstadt Deutschlands, der Rückgang um 8,2 Prozent betraf auch nahezu alle Deliktsbereiche.

So ging die Gewaltkriminalität im öffentlichen Nahverkehr um 17 Prozent zurück, die Zahl der unter Alkoholeinfluss verübten Rohheitsdelikte um 20,5 Prozent und die der Sexualdelikte um 11,5 Prozent. Anders als im Vorjahr hatten auch Wohnungseinbrecher in München 2019 keine Konjunktur: Um fast 20 Prozent ging die Zahl der Einbrüche zurück. Drei Problembereiche trüben indes das sonst positive Bild, das Andrä zeichnete: Um mehr als 50 Prozent stieg die Zahl der Motorrad- und Mopeddiebstähle.

Falsche Polizisten, gesteuert von türkischen Callcentern, schlugen um ein Drittel häufiger zu als im Vorjahr. Und das, was Beratungsstellen schon prognostiziert hatten und einzelne Zahlen im Laufe des Jahres befürchten ließen, bewahrheitete sich statistisch: Die zunehmende Enthemmung rechts orientierter Straftäter macht auch vor München nicht Halt.

Das Polizeipräsidium hat laut Andrä darauf reagiert und den Staatsschutzbereich zum 1. März personell deutlich verstärkt. 562 Delikte verübten Täter aus dem rechten Spektrum 2019. Das ist ein Anstieg um fast 20 Prozent und liegt weit über dem Durchschnitt vergangener Jahre. 308 Straftaten ordnete die Polizei dem "Themenfeld Hasskriminalität" zu - darunter waren antisemitische, islamfeindliche, aber auch homophobe oder frauenfeindliche Übergriffe. 90 Prozent der strafbaren Hasstiraden gehen auf das Konto rechter Täter. "Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus sickern in die alltägliche Wahrnehmung ein - sei es im Internet, im Stadion, auf der Straße oder in der politischen Arena", hatte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, tags zuvor betont. "Aus diesem Nährboden erwachsen allzu oft auch Gewalttaten."

Man werde derartige Straftaten weiterhin konsequent verfolgen "sowie alle erforderlichen Maßnahmen gegen Diskriminierung in jeglicher Form treffen", hieß es dazu am Freitag aus dem Münchner Präsidium. "Hierzu wurden auch bereits verbindliche Regelungen zum Schutz und zur Unterstützung betroffener Personen festgelegt." Das ist offenbar auch dringend nötig: Angezeigte Fälle von Hasskriminalität nahmen in München um fast 34 Prozent zu.

Parallel dazu werden in München auch immer mehr Fälle rechter Gewalt bekannt - mindestens zwölf wurden bereits wieder in den ersten 70 Tagen des laufenden Jahres verübt. Im vergangenen Jahr sind laut offizieller Statistik 35 politisch rechts motivierte Gewalttaten verübt worden. Bei der Überprüfung von 642 Verdachtsfällen stießen die Sicherheitsbehörden letztes Jahr in Stadt und Landkreis zudem auf 382 Personen, die der in Teilen rechtsextremen "Reichsbürger"-Szene zuzuordnen sind und die staatliche Ordnung der Bundesrepublik leugnen oder sogar bekämpfen.

Auf 100 000 Münchner entfallen rechnerisch jeweils 5331 Delikte

Insgesamt 97 628 Straftaten wurden vergangenes Jahr in München verübt - soweit der Polizei bekannt. Auf 100 000 Münchner entfallen damit rechnerisch jeweils 5331 Delikte. Mit dieser sogenannten Häufigkeitszahl liegt München im Ranking der Metropolen weit hinter Köln (10 779), Hamburg (11 068), Frankfurt am Main (12 837) und Berlin (13 583). In all diesen Städten ist das Risiko, Opfer eines Vergehens oder Verbrechens zu werden, also mehr als doppelt so hoch wie in München. Fast zwei Drittel der Taten aus Stadt und Landkreis (61,7 Prozent) konnten aufgeklärt werden. Von den knapp 45 000 ermittelten Tatverdächtigen waren 23 405 Deutsche.

Insbesondere in einem Deliktfeld, das der Münchner Polizei derzeit große Sorgen macht, sind deutsche Tatverdächtige eher die Ausnahme, zumindest wenn es um die Strippenzieher geht: Callcenterbetrug mit der Masche "Falsche Polizeibeamte", oft kombiniert mit einem Schockanruf, der das Opfer zusätzlich unter Druck setzen soll, ist eine kriminelle Spezialität mafiaähnlich organisierter türkischer Banden.

Mindestens 3215 mal - die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein - hatten es skrupellose Betrüger, die sich als Polizisten oder Staatsanwälte ausgaben, auf das Vermögen und die Wertsachen zumeist älterer Münchnerinnen und Münchner abgesehen. In etwa einem Prozent der Versuche, nämlich in 33 Fällen, hatten sie mit ihrem Trick Erfolg. Diese Zahl mag zwar vergleichsweise niedrig sein, die dabei erbeutete Summe jedoch ist es nicht: 2,27 Millionen Euro verschwanden durch diese Betrugsmasche auf Nimmerwiedersehen, durchschnittlich waren das 70 000 Euro pro vollendeten Betrug. Und immer waren es die Ersparnisse alter Menschen.

"Gerade der nicht zu unterschätzende Faktor der Scham" lässt Andrä vermuten, "dass leider nicht alle Taten polizeilich bekannt werden." Im Münchner Präsidium versucht seit mehreren Jahren eine eigene "Arbeitsgruppe Phänomene", derartige Taten - dazu gehören auch der Enkeltrickbetrug und das Vorgaukeln von angeblichen Gewinnen - aufzuklären. Die laut Andrä "intensive und länderübergreifende" Ermittlungsarbeit der Spezialisten führte vergangenes Jahr zu immerhin 21 Täterfestnahmen.

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SZ vom 14.03.2020
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