Süddeutsche Zeitung

Politik in München:Das Personalkarussell dreht sich

Lesezeit: 6 min

Der Machtwechsel bei der Kommunalwahl hat an der Stadtspitze einige personelle Veränderungen in Fahrt gebracht. Viele Posten werden neu vergeben - einige Amtsinhaber müssen wohl aussteigen.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Die Stadt steckt mitten in der Corona-Pandemie, und das nun so wichtige Gesundheitsreferat ist führungslos. Stephanie Jacobs, bisher Referentin für Gesundheit und Umwelt, wechselte zum 15. September ins bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Das gab sie Ende August wie aus dem Nichts bekannt. Einen "Karriereschritt" nannten die Grünen das, den man schon nachvollziehen könne, etwas überraschend, aber man wünsche alles Gute.

Das wirkt wie eine angemessene, souveräne Reaktion der größten Fraktion, Teil der Regierungskoalition. Doch die Grünen dürften diesen Schritt selbst ausgelöst haben, und natürlich wissen sie das auch. Damit haben sie den Regler eines langsam anlaufenden Personalkarussells auf Vollgas gedreht: An der Spitze der Stadtverwaltung, in der Runde der Referenten, läuft ein politischer Umbau an, wie es ihn lange nicht gegeben hat.

Dieser folgt dem Ergebnis der Kommunalwahl im März: Die Grünen werden stark wie nie, die SPD sackt durch und die Referenten der CSU könnten in den kommenden Jahren aus ihren Jobs fliegen wie ihre Fraktion aus der Regierungsverantwortung. Ein kurzer Zwischenstand nach knapp fünf Monaten: Das Referat für Gesundheit und Umwelt wird in zwei Häuser geteilt.

Den Gesundheitsbereich wird die bisherige Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD) übernehmen, die dafür die Spitze des großen Referats für Bildung und Sport vorzeitig für die Grünen frei macht. Das künftige Referat für Klima- und Umweltschutz darf die stärkste Kraft im Rathaus ebenso besetzen wie das neue Mobilitätsreferat, das am 1. Januar den Betrieb aufnimmt. Schon da könnten die Grünen also drei wichtige Verwaltungschefs stellen.

Referenten werden vom Stadtrat stets für sechs Jahre gewählt, allerdings nicht alle zu einem Zeitpunkt, sondern gestaffelt über die gesamte Amtsperiode des Stadtrats hinweg. Einige von ihnen dürfen also noch einige Runden drehen, bis ihre Wiederwahl ansteht - oder eben eine Neubesetzung. Andere sind, wenn man im Bild des Karussells bleibt, dem Boden und damit dem Ausstieg schon etwas näher. Und dann gibt es noch die gänzlich freien Sitze für die Referate, die bis dato gar nicht existieren - und die Kernreferate des grünen Regierungshandelns werden sollen.

Die Beschlüsse fallen im Stadtrat - umsetzen müssen sie die Referenten

Die große Aufgabe der neuen Referentin oder des Referenten im Mobilitätsreferat wird sein, im Zuge der Verkehrswende die Umverteilung des öffentlichen Raums zu organisieren - eines der aktuell bedeutendsten und spannendsten Themen in der Stadt. Das wiederum schließt nahtlos an die Jobbeschreibung des neuen Umweltchefs an: Die Grünen wollen die Stadtgesellschaft in eine ökologisch-soziale umgestalten. So haben sie es im Wahlkampf versprochen, und damit haben sie die meisten Stimmen und so einen klaren Regierungsauftrag erhalten.

Die Beschlüsse dazu werden im Stadtrat fallen, doch die Umsetzung liegt in den Referaten, womit den Spitzenleuten dort eine Schlüsselrolle zukommt. Formal sind diese zwar zur politischen Neutralität verpflichtet, doch natürlich sind sie als eine Art Stadtminister prägend. Sie können selbst Anträge stellen, müssen Beschlüsse ausarbeiten und umsetzen, können Themen anschieben, verzögern, auf Nebengleise verfrachten, Hürden aufbauen und auch einreißen. Voraussetzung für diese Posten ist ein Staatsexamen oder eine vergleichbare Führungserfahrung. Nicht ohne Grund: Sozialreferentin Dorothee Schiwy (Juristin) zum Beispiel verwaltet einen Etat von deutlich über einer Milliarde Euro und hat mehr als 4000 Beschäftigte unter sich.

Die Koalitionsparteien haben jeweils Vorschlagsrechte für die Referenten, sie dürfen damit de facto bestimmen, wer es wird. Und natürlich haben sie ein Interesse daran, diese Schlüsselstellen mit Personen zu besetzen, die ihrer Partei nahestehen - oder gleich ein Parteibuch mitbringen. In ihrem Koalitionsvertrag haben Grüne und SPD bei jedem Referat festgelegt, wer den Kandidaten aussuchen darf. Der andere muss dann jeweils im Stadtrat bei der vorgeschriebenen Wahl zustimmen. Die Grünen suchen die Chefs für das Baureferat, das Referat für Bildung und Sport, das IT-Referat, das Referat für Klima- und Umweltschutz, das Kulturreferat, das Kreisverwaltungsreferat und das Mobilitätsreferat aus. Die SPD hat das letzte Wort beim Referat für Arbeit und Wirtschaft, Kommunalreferat, Personal- und Organisationsreferat, Sozialreferat, der Stadtkämmerei und dem Planungsreferat.

In dieser Aufteilung der Macht über die Verwaltung dürfte auch der tiefere Grund für den plötzlichen Wechsel der Gesundheitsreferentin Jacobs liegen. Diese ist zwar in keiner Partei, jedoch auf Vorschlag der CSU ins Amt gekommen. Ihre sechs Jahre wären am 1. September 2021 abgelaufen. Aus der CSU ist zu hören, dass sie sich gut vorstellen hätte können, das dann eigenständige Gesundheitsreferat weiter zu leiten. Bei der Sondierung im Rathaus wurde ihr wohl signalisiert, dass sie sich für ihren eigenen Job erneut bewerben müsste. Mit äußerst unsicherem Ausgang - die Grünen standen der Wiederwahl skeptisch gegenüber, auch weil sie mit Jacobs Leistung im Bereich Umwelt unzufrieden waren und immer wieder Beschwerden über ihren Führungsstil kursierten.

Jacobs wiederum hatte offenbar keine Lust, sich vorführen zu lassen, ergriff schneller, als das Rathaus dachte, eine Gelegenheit und wechselte auf eine Schlüsselposition in der "Corona-Taskforce" des Ministeriums. Für sie ein attraktiver Posten, der sie zurück an ihre alte Wirkungsstätte führt und damit auch persönliche Planungssicherheit mit sich bringt - schon von 2005 bis 2015 war die Juristin im damaligen Ministerium für Umwelt und Gesundheit tätig.

Jacobs politisches Schicksal dürften vor allem die drei CSU-Mitglieder aufmerksam verfolgt haben, die von ihrer Fraktion in der vergangenen Amtsperiode ins Referentenamt gebracht wurden: Personalreferent Alexander Dietrich, Kommunalreferentin Kristina Frank und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner. Sie dürften sich rechtzeitig vor Ablauf ihrer Amtszeit Gedanken machen, wie sie ihre persönliche Zukunft gestalten wollen. Ein Verlust ihres Amts ist aber natürlich nicht zwingend, nicht immer werfen die Fraktionen Referenten anderer Parteien aus dem Amt, gerade wenn diese inhaltlich kompetent und möglichst neutral arbeiten und man sich menschlich versteht. Dazu bietet etwa Dietrichs Amt als Personalreferent weniger politischen Spielraum als der Chefposten im neuen Mobilitätsreferat.

Wenn sich einer der drei CSU-Referenten Hoffnung machen darf, dann wohl Dietrich. "Mein Ziel ist es, dieses Amt weiter auszufüllen", sagt er. Es gebe noch viele "spannende Projekte", die er fortführen oder angehen möchte. Vorschlagsrecht für seinen Posten hat die SPD, die Amtszeit läuft bis Juni 2022. Hört man in die Fraktion hinein, finden sich schon Stimmen, die sich eine Wiederwahl vorstellen können. Doch auch die Partei wird da mitreden wollen, und die SPD wird nach dieser Kommunalwahl und der folgenden Amtsperiode über so wenige Referenten verfügen wie kaum jemals zuvor.

Auch aus diesem Grund, aber viel mehr noch wegen der exponierten Position als Oberbürgermeisterkandidatin der CSU, wird sich Kommunalreferentin Frank (Amtszeit bis Juli 2024) ziemlich sicher einen neuen Job suchen müssen. Sie selbst will nur so viel sagen: "Mein Platz ist in München." Sollte sie nicht noch einmal gewählt werden, wäre eine Kandidatur als Landtagsabgeordnete denkbar, aber keineswegs sicher. Viele Frauen in Franks Alter und mit ihren Erfahrungen kann die CSU aber nicht vorzeigen. Auch eine erneute OB-Kandidatur ist nicht ausgeschlossen, doch nicht sehr wahrscheinlich. Frank hat sich mit ihrem Wahlkampf nicht nur Freunde gemacht in der CSU. Sollten alle politischen Stricke reißen, steht ihr immer eine Rückkehr in ihren alten Beruf offen: Die Juristin Frank ist auf Lebenszeit verbeamtete Richterin.

Auch Wirtschaftsreferent Baumgärtner ist Jurist, er könnte zurück in seinen Beruf als Rechtsanwalt. Doch seine Amtszeit läuft bis 2025, deshalb macht er sich darüber noch keine Gedanken. "Mir macht mein Job hier wahnsinnig Spaß", sagt er. Anbiedern an Grün-Rot werde er sich nicht, sagt er, sondern seine Arbeit nach bestem Wissen erledigen und natürlich auch Mehrheiten dafür suchen. "Wenn anderes beschlossen wird, dann wird es umgesetzt." Zwischen ihm und Grün-Rot hat es schon ein paar mal gekracht, aber das mache nichts. Um den besten Weg zu streiten, das gehöre für ihn dazu, sagt er.

Ein einziges Referat wollten Grüne und SPD gemeinsam vergeben: das von Ende September an vermutlich wieder selbständige Gesundheitsreferat. Doch dieses wird nun durch eine Blitzrochade von Stadtschulrätin Beatrix Zurek an die SPD gehen. Damit haben die Sozialdemokraten ihre größte personelle Sorge vom Hals, denn Zureks Riesenreferat mit zuletzt etwa 15 000 Mitarbeitern sollte 2022 an die Grünen gehen - und die verdiente Stadträtin und Referentin wäre ohne Job dagestanden. Die Chefs der anderen Häuser, die von der SPD an die Grünen gehen, verabschieden sich entweder in den Ruhestand oder sind keine Parteimitglieder.

Die Grünen ließen sich die Hoheit übers Gesundheitsreferat teuer abkaufen. Aus dem 2024 der SPD versprochenen Kommunalreferat sollen die Stadtgüter, der Stadtwald und der Abfallwirtschaftsbetrieb ins grüne Umweltreferat wandern. Das lässt die Frage aufkommen, ob ein solches Kommunalreferat als eigenes Haus noch Sinn macht. Eine Abschaffung würde aber zumindest eines bewirken: Die fein austarierte Arithmetik der Machtposten in der Verwaltung wäre aus dem Gleichgewicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5036672
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.09.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.