Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Grün im Grau:Ein Blütenmeer auf sechs Quadratmetern

Lesezeit: 4 min

In der dicht besiedelten Innenstadt löst mitunter auch ein kleiner grüner Streifen Freude aus - und sichert Tier wie Pflanze Lebensraum. Um den Fleck vor der Haustür kümmern sich Grünpaten. Doch den Job zu bekommen, ist nicht so einfach.

Von Ellen Draxel

Es summt und brummt auf dem kleinen Fleckchen Grün an der Ecke Georgen-/Winzererstraße. Bienen laben sich an dem Nektar der lila leuchtenden Lavendelblüten. Hummeln tauchen ihre wuscheligen Körper zielgerichtet in die Blütenkelche der zahlreichen Stauden ein, deren Stängel einladend in die Höhe ragen. Daneben gedeihen Margeriten, Stockrosen und wilder Hopfen, der sich grazil um die Stange eines Straßenschildes windet. Dabei misst diese geradezu winzige Fläche an der Grenze zwischen Schwabing-West und der Maxvorstadt, die Dorothee Haering rund um einen frisch gepflanzten Baum in einen Mini-Bauerngarten verwandelt hat, gerade einmal sechs Quadratmeter.

Geschehen ist diese Verwandlung mit viel Liebe zum Detail: Nicht nur Wildbienen-Hotels finden sich inmitten der Blumenpracht, auch kleine Figürchen wie ein Gartenzwerg oder Vögel aus Porzellan fungieren als Hingucker. "Das ist ein Paradies", schwärmt ein Nachbar. Er hat gesehen, wie die Autorin und Fotografin die grüne Oase gießt und schleppt jetzt einen vollgefüllten Wasserkanister an. Einfach so, ohne dass sie ihn darum gebeten hätte. "Ich kenne mittlerweile zehn Leute, die sich um meine Pflanzen und den Baum kümmern und sie wässern, wenn ich mal nicht da bin", erzählt die 61-Jährige.

Seit sie das Beet angelegt hat, im April dieses Jahres, hat sich ihr Bekanntenkreis vervielfacht. "Passanten bleiben stehen, wenn sie sehen, wie ich hier werkle, wir unterhalten uns, das Feedback ist sehr positiv." Es vergehe kein Tag, an dem die Leute nicht vorbeikämen und sich bei ihr für diese Augenweide bedankten. Dorothee Haering, ein echtes Münchner Kindl, ist so etwas wie eine Aktivistin. Sie vertritt keine Organisation. Aber sie setzt sich nachdrücklich dafür ein, dass solche kleinen Klima-Verbesserer und Artenschutz-Helfer, wie sie einen vor ihrer Haustür geschaffen hat, künftig sehr viel zahlreicher zu finden sind. Denn bislang sind in der bayerischen Landeshauptstadt lediglich 72 Grünpaten im Straßenbegleitgrün aktiv.

Zum Vergleich: In Nürnberg sind es bereits 1519. Woran liegt das? "In München sind die bürokratischen Hürden zu hoch", kritisiert die Inhaberin einer Grafik- und Marketingagentur. Das fängt schon bei der Internet-Recherche an. Gibt man in der Google-Suchleiste "Baumpate Nürnberg" ein, ist bereits der erste Treffer ein Verweis auf den städtischen Servicebetrieb Öffentlicher Raum. Dasselbe Spiel für München durchexerziert, ergibt einen Treffer für die "Grünpaten" des Vereins Green City auf Position acht. Um diesen Link zu nutzen, müssen Interessenten aber bereits von der Kooperation der Kommune mit dem Verein in Sachen Beetbepflanzung wissen. Wer sich dessen nicht bewusst ist und auf muenchen.de mehr erfahren möchte, ist gezwungen, sich auf dem Portal zunächst durch fünf Reiter klicken: Bürgerservice, Engagement und Hobby, bürgerschaftliches Engagement, ehrenamtliche Arbeit und schließlich Spielplatz- und Grünflächenpatenschaft.

Hemmnis Nummer zwei sind die komplexen Bedingungen. Während es in Nürnberg genügt, sich eine Patenschaftsvereinbarung downzuloaden, sie auszufüllen und abzuschicken, um dann einen städtischen Zuschuss für den Kauf von Pflanzen über 50 Euro und ein Infoschild für die Fläche zu erhalten, braucht es in München einen Vertrag. Grünpate oder Grünpatin darf in der Isar-Metropole nur werden, wer einen Wasseranschluss mit Schlauch bis zur bepflanzten Fläche nachweisen und mindestens zwei Personen benennen kann, die regelmäßig gießen. Beide Personen mussten bis vor drei Wochen zudem ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. "Ich sollte sogar angeben, wer sich um das Beet kümmert, wenn ich sterbe", erklärt Haering.

Nach einem Gespräch mit dem Chef des Baureferats Gartenbau, Florian Hochstätter, sei der Punkt mit dem Führungszeugnis inzwischen aber ausgeräumt, sagt Almut Schenk vom Verein Green City. "Das war allerdings das einzige, was uns zugestanden wurde." Nach wie vor braucht es in München bis zu zehn Helfer an einem bestimmten Tag, um das Beet gemeinsam mit Green City herzurichten. Denn das Bepflanzen ist bewusst als soziales Projekt angelegt, es soll laut Baureferat "Toleranz und Verständnis zwischen Jung und Alt, Frauen und Männern und unterschiedlichen Nationalitäten fördern". Auch sind in München Areale um neu gesetzte Bäume grundsätzlich von dem Projekt ausgeschlossen. Dafür kosten die Pflanzen nichts.

Dorothee Haering hat sich über all diese Vorgaben hinweggesetzt, die kleine Oase vor ihrer Tür ist nicht genehmigt. "Am Anfang hatte ich deshalb Bauchschmerzen", gibt sie zu. Sie befürchtete, das Beet könnte wieder plattgemacht werden. Auf Anraten des Baureferats Gartenbau nahm sie daher im Nachhinein doch noch Kontakt mit Green City auf. Mittlerweile ist sie aber so weit, dass sie die Sache "gerne aussitzen" würde. "Die Stadt München", rechnet Hering vor, "wird, wenn sie ihr Grünpaten-Konzept nicht ändert, 150 Jahre benötigen, um die Anzahl der Grünpaten zu erreichen, die Nürnberg 2022 hat". Weil Green City wegen des umfangreichen Procederes bislang lediglich rund zehn Beete pro Jahr realisieren kann.

Bei all den bürokratischen Vorgaben verlieren die Leute die Lust

Zwar stehen dem Verein laut dem Baureferat nach einer Erhöhung des Zuschusses "nun ausreichend Ressourcen zur Verfügung, um zukünftig mit allen Interessenten und Interessentinnen für eine Grünpatenschaft entsprechende Vereinbarungen abzustimmen". Doch bei all den Vorgaben, weiß Schenk, "verlieren die Leute die Lust". Rund 800 Euro hat die Maxvorstädterin Haering inzwischen in das Blütenmeer an der Georgenstraße 123 investiert - aus eigener Tasche. Sie ist dafür weit gefahren, hat resistente, winterharte Züchtungen gekauft. "Die", betont sie, "werde ich sicher nicht verdursten lassen". Den Baum in der Mitte gießt sie dabei selbstverständlich mit.

Auch das ist für sie ein Argument, die Hürden zu senken: "Bei bepflanzten Baumscheiben, um die sich jemand kümmert, werden die Bäume automatisch mitgewässert." Der Bewuchs schütze zugleich den Boden vor dem Austrocknen. Eine Win-Win-Situation. "Wir haben den Klimawandel", sagt Dorothee Haering. "Ich will nicht hören, dass wir zu viel CO₂ haben. Ich will, dass hier im Kleinen was passiert." Sie engagiert sich, dass das Thema - wie in Nürnberg - zur Chefsache wird. "Das ist ein echtes Bürgeranliegen: Es tut der Umwelt und der Gesellschaft gut und bedarf, richtig organisiert, jetzt nicht massig Geld." Sie weiß von mindestens 15 Leuten, die gerne Grünpaten werden und dafür auch etwas ausgeben würden. Die aber nichts tun wollen, was eigentlich illegal ist.

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