Süddeutsche Zeitung

Bürgerinnen-Gutachten:Münchner reden bei Paketposthalle mit

Lesezeit: 3 min

1100 Wohnungen, eine öffentlich genutzte Paketposthalle und zwei 155-Meter-Türme: Zum Bauvorhaben an der Friedenheimer Brücke erarbeiten nun 126 Bürgerinnen und Bürger ein Gutachten. Es kann dem Projekt Rückenwind geben - oder es zu Fall bringen.

Von Sebastian Krass

Was soll sich künftig in der Paketposthalle abspielen? Wie schafft man soziale Ausgewogenheit in einem neuen Quartier mit 1100 Wohnungen und 3000 Arbeitsplätzen? Wie lässt es sich nachhaltig entwickeln? Und: Wie hoch sollen Hochhäuser an dieser Stelle werden? Das sind einige der Fragen, zu denen von kommender Woche an 126 Menschen vom Teenager- bis zum Seniorenalter ein Bürgerinnen-Gutachten erarbeiten. Sie haben ein weitgehendes Mandat: "Es geht auch darum, ob wir das Projekt überhaupt so wollen", sagte Stadtbaurätin Elisabeth Merk am Dienstag bei einer Pressekonferenz zum Start des Gutachtens, "und ob wir mit dem Aufstellungsbeschluss weiter in Richtung Billigungsbeschluss gehen."

Mit dem Aufstellungsbeschluss für einen neuen Bebauungsplan hatte der Stadtrat 2019 den Genehmigungsprozess gestartet, der Billigungsbeschluss wäre der nächste Schritt. Sollten die Teilnehmenden also grundlegende Einwände gegen die bisherige Planung vorbringen, die eine öffentliche Nutzung der bisher unzugänglichen Halle und daneben eine dichte Bebauung mit zwei 155 Meter hohen Türmen vorsieht, dann stünde das ganze Projekt infrage. Denn das Gutachten soll eine wichtige Rolle für das weitere Vorgehen spielen, so hieß es, als der Stadtrat es beschloss.

Der Investor, der das Bauvorhaben vorantreibt, gibt sich zuversichtlich, dass das Gutachten ihm Rückenwind verschafft: "Die Bürgerinnen und Bürger werden herausfinden, dass das Projekt nicht so schlecht ist", sagte Ralf Büschl, Beiratsvorsitzender der Büschl Unternehmensgruppe aus Grünwald. "Es bietet die Chance, München nach vorn zu bringen und ein nachhaltiges, urbanes Stadtquartier zu gestalten." Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) habe das Projekt "vorab begutachtet, und wir werden für das Gesamtquartier den Platin-Status bekommen". Das wäre die höchste Bewertungsstufe.

Zudem stellte Büschl in Aussicht, man werde mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, als gemäß der Sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) vorgegeben ist: "Wenn das Ganze so kommt wie geplant, werden wir die Sobon übertreffen." Die für dieses Projekt geltenden Sobon-Regeln schreiben einen Anteil von 40 Prozent geförderter oder preisgedämpfter Wohnungen vor. Ein Teil davon würde in den Hochhäusern entstehen, sagte Büschl zu. Er betonte aber auch, dass die frei vermarktbaren Flächen in den Hochhäusern "ein notwendiger Beitrag" für das Gesamtprojekt seien: als Gegenfinanzierung für die 100 Millionen Euro, die es brauche, "um die Halle zum Leben zu erwecken".

Die Gutachterinnen und Gutachter werden auf vier Gruppen, sogenannte "Planungszellen", aufgeteilt. Jeweils zwei davon kommen in der nächsten und übernächsten Woche im Backstage, direkt neben dem Paketpost-Areal, zusammen. Sie durchlaufen alle das gleiche viertägige Programm. Sie bekommen Vorträge zu verschiedenen Themen, beim Thema "Höhe der Hochhäuser" etwa kommt sowohl die Büschl-Seite als auch ein Vertreter des hochhauskritischen Münchner Forums zu Wort. Danach diskutiert jede Gruppe zu jedem Thema. Die Diskussionen werden dokumentiert und in ihrer Breite zum Gutachten zusammengefasst.

Von den 126 Teilnehmenden ist eine Hälfte zwischen 14 und 44 Jahre alt, die andere Hälfte älter. Sie kommen aus ganz München. Der Bezirk Neuhausen-Nymphenburg ist mit einem Anteil von zehn Prozent leicht überrepräsentiert. "Es handelt sich nicht um eine Betroffenenbeteiligung", sagt Christiane Dienel vom Nexus-Institut aus Berlin, das den Auftrag für das Gutachten bekommen hat. "Es sind zufällig ausgewählte Münchnerinnen und Münchner, die mit frischem Blick auf das Projekt schauen, es mit ihren Alltagserfahrungen verbinden und überlegen: Was könnte das Viertel für mich bedeuten?" Die Teilnehmenden bekommen eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro pro Tag. Stadtbaurätin Merk sieht in ihrer Arbeit einen "wertvollen ehrenamtlichen Beitrag für die Zukunft der Stadtgesellschaft".

Merk, Investor Büschl und Anna Hanusch, Fraktionschefin von Grünen/Rosa Liste im Stadtrat und Vorsitzende des Bezirksausschusses Neuhausen-Nymphenburg, waren auf der Pressekonferenz bemüht, das Gutachten zu lösen von der laufenden Debatte um die Hochhäuser. Die Entscheidung darüber, in welcher Form diese gebaut würden, stünde zu einem späteren Zeitpunkt an, betonten sie. Hanusch bekräftigte aber ihr Plädoyer für einen Architektur-Wettbewerb: Es müsse "mehrere Varianten" geben, "nicht nur einen Vorschlag, zu dem wir ja oder nein sagen können". Büschl wiederum findet, dass das von ihm mit der bisherigen Planung beauftragte Büro Herzog/de Meuron auch die Hochhäuser entwerfen muss. Beide betonten aber, dass man die Frage "gemeinsam" lösen werde. Stadtbaurätin Merk vermied eine Positionierung pro oder contra Wettbewerb, erwähnte aber, dass die vorliegenden Pläne ihr "gut gefallen".

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Quelle:
SZ vom 29.09.2021
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