Süddeutsche Zeitung

Erinnerungskultur in München:Die Gesichter der Verfolgten zurückbringen

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"Die Rückkehr der Namen": Der Bayerische Rundfunk und die Stadt wollen öffentlich an 1000 Menschen erinnern, die in der NS-Zeit entrechtet und ermordet wurden.

Von Bernd Kastner

Die Menschen sollen zurückkommen in die Mitte der Stadt. Jene Menschen, die von den Nationalsozialisten ausgegrenzt und entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. "Die Rückkehr der Namen" heißt ein außergewöhnliches Erinnerungsprojekt des Bayerischen Rundfunks. Es ruft Münchnerinnen und Münchner auf, die Patenschaft für jeweils ein Opfer der NS-Herrschaft zu übernehmen und im April kommenden Jahres diese Menschen ins Bewusstsein der Stadt zurückzubringen.

In Form eines "lebendigen Mahnmals" will der BR in Kooperation mit der Stadt München und mehr als 60 Organisationen an Angehörige aller Opfergruppen der Nationalsozialisten erinnern, an Jüdinnen und Juden und andere religiös Verfolgte, an Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, Zwangsarbeiter, politisch Verfolgte. Jede Patin, jeder Pate stellt sich, so ist der Plan, am 11. April mit einer Tafel an einen bestimmten Ort in der Stadt.

Auf der Vorderseite der Tafel soll ein Foto der Person, an die erinnert wird, abgebildet sein, plus Name und Lebensdaten. Auf der Rückseite soll die Lebensgeschichte dieses Menschen skizziert sein. Ziel sei es, so der BR, dass Paten mit Passanten ins Gespräch kommen, um deutlich zu machen: "Aus der Geschichte können wir lernen, welche Folgen es hat, wenn die Demokratien sterben."

Am späten Nachmittag des 11. April sollen sich alle 1000 Paten am Königsplatz treffen, um gemeinsam durch das ehemalige Parteiviertel der NSDAP zum Odeonsplatz zu gehen, wo der Aktionstag mit einer Veranstaltung enden soll. "Mit der Aktion", heißt es in der BR-Ankündigung, "werden aus Nummern und Listen wieder Menschen mit einer Identität, einem Gesicht und einer Geschichte".

Zu sehen sein wird unter anderem das Foto von Benno Neuburger. Der Grundstücksmakler lebte in der Trogerstraße 44, in der Reichspogromnacht wurde er ins KZ Dachau verschleppt. Nach der Entlassung mussten er und seine Frau in die "Judensiedlung Milbertshofen" ziehen. Neuburger durchschaute früh die Vernichtungspläne und verschickte anonym Postkarten, auf denen er Hitler anprangerte. Die Gestapo verhaftete Neuburger, am 18. September 1942 wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet, er war 71 Jahre alt.

Die "Rückkehr der Namen" will Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen entgegenwirken, erklärt Andreas Bönte vom BR, der das Projekt initiiert hat. Immer weniger Zeitzeugen können von der NS-Zeit berichten, auch der familiäre Bezug zum Hitler-Reich verblasse nach und nach. Zugleich nähmen antisemitische Straftaten, Fremdenfeindlichkeit und Übergriffe auf Menschen aus der queeren Community zu, in den digitalen Medien seien Fakten und Fiktion bisweilen schwer zu trennen. Junge Menschen zeigten einerseits großes Interesse an der NS-Zeit und ihren Verbrechen, dabei könnten viele nicht genau sagen, was der Nationalsozialismus war.

Weil in jener Zeit Menschen ausgegrenzt und oft zu Nummern wurden, wolle man einen Kontrapunkt in der Gegenwart setzen, so Bönte: "Mit der Aktion werden aus Nummern und Listen wieder Menschen mit einer Identität, einem Gesicht und einer Geschichte." Für die Patinnen und Paten soll es im Vorfeld einen Informationsabend geben, sie sollen über die unterstützenden Organisationen gefunden werden.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels wurde der Verein Lichterkette als Initiator der Aktion genannt. Die Lichterkette ist aber lediglich eine von vielen unterstützenden Organisationen, Hauptorganisator des Projekts ist der Bayerische Rundfunk in Kooperation mit der Stadt München.

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