Süddeutsche Zeitung

Neuhausen:Platz soll nach Holocaust-Überlebenden benannt werden

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Ein bisher namenloser Ort in Neuhausen soll künftig an Walter Joelsen erinnern. Zu seinen Lebzeiten sei er ein Versöhner gewesen, "der den jungen Leuten zu verstehen gab, dass jeder Mensch anders und besonders ist".

Von Ellen Draxel

Auf dem kleinen Platz schräg gegenüber der Südspitze des Grünwaldparks in Neuhausen ist bei schönem Wetter ordentlich was los. Kein Wunder, der Ort ist charmant: Gesäumt von Bäumen und bestückt mit Bänken, einem Bücherschrank und einem denkmalgeschützten Trambahnhäuschen, das als Kiosk genutzt wird, lädt er zum Ratsch mit Freunden und Nachbarn ein. Nur: Das Verabreden gestaltet sich manchmal schwierig. Denn der Platz zwischen Ruffini-, Waisenhaus- und Nymphenburger Straße trägt keinen Namen.

Der Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg will das jetzt ändern. Auf Initiative von Lili Schlumberger-Dogu (Linke) haben die Lokalpolitiker einen Antrag gestellt, den Platz nach Walter Joelsen zu benennen - einem Holocaust-Überlebenden, der für sein Engagement als Zeitzeuge in der KZ-Gedenkstätte Dachau 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Joelsen starb vergangenes Jahr im Alter von 96 Jahren. "Dass dieser Platz seinen Namen tragen soll, hätte ihn sicher sehr gefreut", ist sich seine Tochter Gisela Joelsen sicher. "Und für uns vier Kinder wäre es eine große Ehre." Zumal Walter Joelsen, so die 59-Jährige, "durch und durch Neuhausener" gewesen sei.

1926 im Rotkreuz-Krankenhaus geboren, wächst Walter Joelsen als Sohn evangelisch getaufter Eltern in der Borstei auf und besucht zunächst die Alfonsschule. Dass sein Vater jüdischer Abstammung ist und seinen Namen von Joels Sohn in Joelsen geändert hat, weiß der Junge lange Zeit nicht. Er ist zwölf, als er es erfährt. "Ein Ortsgruppenleiter der Borstei hatte damals die Eltern seiner Freunde aufgesucht und sie angewiesen, das Spielen ihrer Kinder 'mit dem Juden' zu unterbinden", erzählt Gisela Joelsen. Der junge Walter verliert an diesem Tag all seine Freunde.

Es sollte nur die erste von vielen weiteren schmerzlichen Ausgrenzungserfahrungen sein. 1943 - da ist der junge Mann gerade mal 17 - wird er der jüdischen Wurzeln seiner Familie wegen vom Wittelsbacher Gymnasium ausgeschlossen. Die evangelische Christus-Gemeinde am Dom-Pedro-Platz fängt ihn auf, stellt ihn als Hilfsjugendwart an. Die Kirche wird seine Heimat. Doch schon ein Jahr später wird Walter Joelsen zur Zwangsarbeit eingezogen, muss in einem Bergwerk in Bad Salzungen in Thüringen einen unterirdischen Rüstungsbetrieb ausbauen. Zwei weitere Male wird der Münchner deportiert, nach Abteroda, einem Außenlager des KZ Buchenwald, und nach Dankmarshausen, wenige Kilometer weiter westlich. Er überlebt die Folter, leidet aber so sehr an den Folgen der Haft, dass ihn noch lange nach der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner an Ostern 1945 Selbstmordgedanken plagen.

Schließlich sind es die positiven Erinnerungen an die Christuskirche, die ihm helfen weiterzuleben. Walter Joelsen studiert Theologie, wird evangelischer Pfarrer, Religionslehrer und Redakteur bei der evangelischen Fernsehgesellschaft Eikon, die ihren Sitz an der Lachnerstraße hat - unweit des Platzes, der künftig seinen Namen tragen könnte.

Sprechen aber kann er lange nicht über seine Erfahrungen, die Vergangenheit verfolgt ihn. "Auch wir Kinder wussten wenig", sagt Gisela Joelsen. Das ändert sich erst, als Ende der Siebzigerjahre die Serie Holocaust ins Fernsehen kommt. Von da an geht Walter Joelsen in Schulen und ins KZ Dachau, erzählt in den Klassen und in der Versöhnungskirche der Gedenkstätte von seinen Erlebnissen.

"Er war so offen und respektvoll den Jugendlichen gegenüber", erinnert sich Schlumberger-Dogu. Die Politikerin hat selbst 20 Jahre lang Besucher und Besucherinnen durch die KZ-Gedenkstätte Dachau begleitet und durfte Walter Joelsen mehrfach als Zeitzeugen erleben. "Mich hat er stark beeindruckt", sagt sie. "Er war ein wahrhaftiger Christ und großer Humanist, ein sehr feiner, tiefsinniger Mensch." Walter Joelsen, ergänzt der Pfarrer der Christuskirche, Dekan Christoph Jahnel, sei aber auch ein Mahner gewesen, "der immer wieder erklärte, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist". Und ein Versöhner. "Einer, der den jungen Leuten zu verstehen gab, dass jeder Mensch anders und besonders ist - und jeder seine eigene Würde hat."

Jahner und der Kirchenvorstand der Christuskirche unterstützen daher den Vorstoß aus Neuhausen - ebenso wie der Pfarrer der Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau, Kirchenrat Björn Mensing. Die Entscheidung obliegt nun dem Stadtrat.

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