Süddeutsche Zeitung

Musik aus Bayern:Intime Innenschau

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Der Münchner Pianist und Komponist Carlos Cipa macht auf seinem neuen Album seine Pandemie-Erfahrungen hörbar.

Von Jürgen Moises

Wie sind wir als Menschen wirklich? Nun, im Falle von Carlos Cipa könnte man vermuten: Er ist leise, sanft, leicht melancholisch. Zumindest wenn man sein neues, fünftes Album als Ausdruck seiner Persönlichkeit nimmt. " Ourselves, as we are" heißt das kürzlich bei Warner Classics erschienene Werk, das der Münchner Pianist und Komponist tatsächlich als eine Art intimes Selbstporträt, als "bewusste Innenschau" versteht.

Inspiriert wurde Cipa dazu von Corona. Denn in der Pandemie sah er sich wie viele von uns teilweise komplett auf sich selbst zurückgeworfen. Da hieß es plötzlich, mit Zeit und Stille und sich selbst auf neue Weise umzugehen. Und bei Carlos Cipa sah das schließlich so aus, dass er sich mit seinem Klavier in einem Raum einschloss.

Nun ist das bei Pianisten wohl nicht so außergewöhnlich. Nur machte Cipa, der nach einer Klavierausbildung bei der Hardcore-Band Pangaea Schlagzeug gespielt und danach Komposition an der Münchner Musikhochschule studiert hat, daraus ein Konzept. Ein Raum, ein Klavier, ein Pianist und viel Zeit zum Improvisieren hieß die Devise. Daraus entstanden sind neun Instrumentalstücke, bei denen das Klavier nicht nur als Instrument, sondern als ein zweiter, eigener Charakter auftritt. Deswegen das "wir" im Titel. Das heißt: Weil Cipa sein Spiel extrem reduziert hat, kann man neben den eigentlichen Tönen auch die Mechaniken, das Anschlagen der Tasten und der Saiten hören.

Auch das ist zugegeben nicht ganz neu. Komponisten wie John Cage haben diese Möglichkeiten des Klaviers genutzt. Und als aktueller Vorläufer dieser neuen "Leisigkeit", wie es im Pressetext heißt, fällt einem Nils Frahm ein, der teilweise Filz zum Abdämpfen seines Klavierspiels verwendet. Trotzdem. Nachdem der auch als Filmkomponist arbeitende Cipa auf "Retronyms" 2019 mit Marimba, Bassgitarre oder Hackbrett seine Palette ausgeweitet hatte und danach "Correlations" 2020 auf elf verschiedenen Flügeln und Klavieren aufnahm, ist das nun ein mutiger "Neustart". Und es ist eine schöne, willkommene Einladung zum genauen und bewussten Hören.

Das macht man am besten ebenfalls alleine in der Kammer. Dort fühlt sich bereits das erste Stück " Took" so an, als würde man mit dem Kopf im Klavier stecken und wäre dabei in Watte getaucht. Jeder Ton klingt weich und gedämpft. Man hört die Mechaniken schwingen. Und inspiriert durch weitere Titel wie "Between Two Strangers" oder "Walk So Silently" laufen bald Filme im Kopf ab. Bei "Predictable Patterns" hört man die Nebengeräusche des Klaviers lauter als die Töne. Auch im melancholischen Titelstück schiebt sich die Mechanik wie ein Rauschen dazwischen. So gesellt man sich bald auch als Hörer zum "wir" und wird Teil einer intimen, meditativen Dreiecksbeziehung. Bis nach dem abschließenden, sehnsüchtigen "Forgotten Me" der letzte Ton ins Nichts verschwindet.

Carlos Cipa: " Ourselves, as we are ", erschienen bei Warner Classics

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