Süddeutsche Zeitung

Maxvorstadt:"Jetzt ist die passende Gelegenheit, das Kunstareal weiterzudenken"

Lesezeit: 4 min

Das Museumsviertel ist einer der herausragenden Kunst- und Kulturstandorte Europas - doch nur die einzelnen Häuser strahlen. Gernot Brauer will nun die Genese des Kunstareals vorantreiben.

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Auch Gernot Brauer weiß nicht, wie viele Seiten an Strategiepapieren, Planentwürfen, Konzeptdossiers zum Kunstareal schon bedruckt wurden. Tausende, Zehntausende womöglich. "So viele kluge und zum Teil weitgreifende Ideen wurden für das Areal schon entwickelt", sagt der 79-Jährige. Der profilierte Autor und langjährige Aktivist beim Münchner Forum legt die Stirn in Falten. Vieles sei zerredet worden, sagt er streng, "oder schlicht vergessen".

Brauer war einst Journalist, Unternehmenssprecher, Kommunikationsmanager; er ist immer noch Buchautor und er hat ein Leib- und Magenthema: das Kunstareal. "Ich war von Anfang an dabei, kenne das Thema Kunstareal rauf und runter." Das heißt: seit zehn Jahren, denn heuer ist Jubiläumsjahr für die immer noch andauernde Genese dieses Kunstverbunds.

In seinem Wohnzimmer in Schwabing spricht er an diesem Vormittag leidenschaftlich über dieses Projekt, das inzwischen nur noch als "Prozess" bezeichnet wird: Er weiß wie und warum der so zäh vorangeht, ist aber keineswegs deprimiert, im Gegenteil. Er startet nun mit einer Projektgruppe aus Stadtplanern, Künstlern und Architekten einen öffentlichkeitswirksamen Vorstoß für einen "Kunstboulevard Arcisstraße" mit einer groß angelegten Ausstellung während des vierten Kunstareal-Festes am 13. und 14. Juli (Galerie Thomas, Türkenstraße 16). "Jetzt ist die passende Gelegenheit, das Kunstareal weiterzudenken", sagt er.

Der Zeitpunkt erscheint ihm günstig, weil in der Tat einiges in Bewegung kommt im Kunstareal. Im Februar konnte die Stiftung Pinakothek der Moderne von dem Architekten Stephan Braunfels die Nutzung des Urheberrechts am zweiten Bauabschnitt für einen ursprünglich geplanten Erweiterungsbau erwerben. Kunstminister Bernd Sibler verkündete, es sei nun "eine große Hürde genommen". Sein Amtsvorgänger Ludwig Spaenle hatte davor schon angedeutet, dass die LMU-Gebäude an der Theresienstraße saniert, womöglich abgerissen werden müssen. Er sprach von "vielen Möglichkeiten", durchaus auch für Kunst und Kultur. Gernot Brauer will zudem den Fokus auf die TU-Bauten lenken, aus denen sich die Fakultät für Elektro- und Informationstechnik zum Campus bald nach Garching verabschieden wird. Ferner sei im Zuge der Planungen für eine neue U-Bahnlinie U 9 auch ein Bahnhof an der Arcisstraße vorgesehen. "Die Zeit ist jetzt reif, mit der Debatte über einen Kunstboulevard Arcisstraße neu zu beginnen."

Der Boulevard-Plan ist eines jener seit Langem diskutierten Elemente, die den Grundgedanken von 2009 für ein Leuchtturmprojekt erblühen lassen sollen: Damals wurde erkannt, dass das Museumsquartier in der Maxvorstadt zwar einer der herausragenden Kunst- und Kulturstandorte Europas ist. Internationale Strahlkraft haben aber nur die einzelnen Häuser, nicht das Quartier als Ganzes, so wie konsistente Kunstviertel in Berlin, Wien, New York. Das Ziel: Die funkelnden Perlen - 18 Museen und Ausstellungshäuser, sechs Hochschulen und zahlreiche Galerien und Kulturinstitutionen - sollen weiter funkeln, aber auch unter dem Namen "Kunstareal" als Verbundmarke glänzen.

Doch die schillernde Kunst-Liga scheitert bisher an einem Grundproblem: Die Grundstücke mit den Bauten darauf und die Straßenräume dazwischen unterstehen verschiedenen Zuständigkeiten und Etats in Stadt und Staat, wobei die Museumschefs die Kunstareal-Idee zwar charmant finden, zuvörderst aber die Agenda ihrer eigenen Häuser im Blick haben. "Es gibt viele Könige, aber keinen Kaiser", bringt es Brauer auf den Punkt. Die Folge: ein Dickicht aus Befugnissen und Interessen sowie eine Vielzahl von Akteuren, die in Abstimmungsgremien zwar viel besprechen, aber nichts entscheiden können. Das zweite Problem ist die Topografie: Die weltberühmten Institutionen sind lauter kolossale Komplexe, die, vom dichten Verkehr umspült, auf einem Gebiet von 66 Hektar verstreut herumstehen. Um als Kunst-Kollektiv - nicht nur bei den erfolgreichen Kunstareal-Festen - wahrgenommen zu werden, bräuchte es aber ein kohärentes Gepräge, zumindest ein verbindendes Element - einen Kunstboulevard auf der Arcisstraße zum Beispiel.

Brauer und sein Team haben die Idee nun konsequent weitergedacht, wie die Arcisstraße, welche das Kunstareal in Nord-Süd-Richtung durchzieht, eine "ordnende Achse" sein könnte: Als Kernstück stellt sich die Initiative die dort gelegene TU-Mensa als zentrale Anlauf- und Informationsstelle vor, die Arcisstraße als zentrale Erschließungsroute für das Kunstareal. "Wie an einer Perlenschnur", so heißt es im Konzept, sollen am Wegesrand Informationsstellen und Infoscreens auf die in Sichtweite befindlichen Museen hinweisen, inclusive Wlan-fähigen Zugangsportalen. "Kein Besucher soll mehr mit fragender Miene herumstehen müssen", heißt es in dem Dossier in Anspielung an das vielfach als nur mäßig wegweisend empfundene Begleitsystem mit den 21 im Areal verteilten Info-Stelen. Allein, Brauer bleibt wegen des Zuständigkeitsgeflechts skeptisch, hört aber nicht auf, zu hoffen. "Man muss es nur wollen", sagt er.

Die Stadtverwaltung beteuert indes, dass sie es will. "Die Idee Kunstboulevard Arcisstraße sehen wir positiv", teilt ein Sprecher des Planungsreferats mit. Als wichtigen Schritt nennt die Behörde den Beschluss zur Aufhebung der Einbahnregelung in Abschnitten der Gabelsberger-, Theresien- und Türkenstraße - zeigt aber auch Hürden auf: Die Entwicklung des Verkehrs und des öffentlichen Raums im Kunstareal müsse im Kontext mit anderen Großprojekten gedacht werden, dem Umbau des Hauptbahnhofs und der Umgestaltung der Brienner Straße etwa.

Und das Resümee nach zehn Jahren Kunstareal-Prozess? "Die vielen eigenständigen Institutionen haben sich unter der Dachmarke ,Kunstareal München' vernetzt - es gibt einem gemeinsamen Nenner", heißt es vom Planungsreferat, das auch als einen der wichtigsten Erfolge den "engen Schulterschluss" zwischen Freistaat und Landeshauptstadt herausstellt, konkret die Einrichtung der Koordinationsstelle Kunstareal. "Besonders freut mich, dass mit der 2018 unterzeichneten Kooperationsvereinbarung zwischen Staat und Stadt der Prozess zur Förderung des Kunst-, Kultur- und Wissensclusters rund um den Königsplatz und die Pinakotheken nun dauerhaft fortgeführt wird", sagt Stadtbaurätin Elisabeth Merk.

Auch das Kulturreferat hebt die Zusammenarbeit der "zahlreichen Kunstareal-Beteiligten" hervor. "Es bleibt jedoch angesichts der Vielzahl der Akteurinnen und Akteure eine Herausforderung", sagt Behördensprecherin Jenny Becker. Guido Redlich, Vorsitzender des Förderkreises Kunstareal und Mitglied im Stiftungsrat Pinakothek der Moderne, liefert im aktuellen Magazin "Standpunkte" des Münchner Forums eine wohl treffende Metapher zum Stand des Kunstareal-Prozesses: Die Idee des Kunstareals erinnere in ihrer Komplexität an die Errichtung eines Bauwerks. Und nach zehn Jahren intensiver gemeinsamer Arbeit stehe es jetzt "auf einem nachhaltigen Fundament", schreibt er.

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SZ vom 24.06.2019
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