Süddeutsche Zeitung

Münzinger am Marienplatz:Münchens ältestes Sportgeschäft macht zu

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Mehr als 100 Jahre hielt sich Sport Münzinger im Rathaus, Ende November ist Schluss. Das Traditionsgeschäft stattete Fußballer und Fans aus und lieferte sogar Bälle für eine WM.

Von Sabine Buchwald

Im Juni kam die Ankündigung, und nun ist es so weit: Münzinger geht vom Platz. Die Fenster von Münchens ältestem Sportgeschäft sind verklebt, Prozentzeichen werben für den Räumungsverkauf. "Alles muss raus", verkünden große Schilder schon seit Wochen. Ende November ist nun endgültig Abpfiff. Der Schnäppchenjäger-Look will nicht so recht passen zum neugotisch verspielten Dekor des Rathauses, wo das Traditionsgeschäft seit 1904 ansässig ist. Der Name ist geblieben, doch seit 2003 gehört Sport Münzinger zu Schuster und damit zu einem anderen großen Münchner Sporthaus. Flori Schuster, demnächst 66 Jahre alt, Senior und einer der Geschäftsführer, sagt: "Es ist schon deprimierend, wenn man gezwungen ist, etwas ausbluten zu lassen. Wenn die Optik so wird, wie man sie nie haben wollte." Sie haben die Reißleine gezogen bei Münzinger, denn der Umsatz stimmte nicht mehr.

Zwischen Flori Schusters Büro in der Rosenstraße und dem Rathaus sind es nur ein paar Schritte. Man geht zusammen hinüber und wird von ihm auf den großen Lindwurm hingewiesen, der über den Köpfen der Passanten die Rathausfassade hochzuklettern scheint. Man nennt es das Wurm-Eck, dort wo die Weinstraße in den Marienplatz mündet. Es könnte auch "Münzinger-Eck" heißen, denn Gebäudekante und Geschäft sind wie verwebt miteinander. Nie stand ein anderer Name über den Schaufenstern an diesem Ort des Rathauses. Schon bevor die Arbeiten an dem Monumentalbau 1906 abgeschlossen waren, hatte Hermann Münzinger seinen Laden dort für 17 000 Mark Jahresmiete eröffnet. Vermieter war und ist die Stadt München. Seinen Handel hatte der Firmengründer mit Waren aus Gummi und Guttapercha begründet, einem Naturstoff, der in Asien wächst. Aus ihm wurden lange Zeit Golfbälle geformt. Auch deshalb hatte die Firma Münzinger offiziell auch bald Sportartikel im Sortiment.

Der Lindwurm ist in München Symbol für die Pest, die den Einwohnern im Mittelalter Tod und Elend brachte. Der Legende nach kam die Krankheit über den fauligen Atem des Tieres eingeflogen. Nun ist es abermals ein Krankheitserreger, der die Stadt erschüttert und letztlich seinen Anteil hat am Ende von Sport Münzinger. Am frühen Nachmittag auf dem Marienplatz, wo normalerweise jetzt Stände des Christkindlmarkts aufgebaut wären, tummeln sich sehr viel weniger Menschen als sonst. Die Restaurants und Cafés rundum sind zu. Der Münzinger sei in seiner Lage extrem tourismusaffin ausgerichtet gewesen, sagt Flori Schuster. Auf Gäste und auf Fußball.

Dieser Schwerpunkt hat sich in der Geschichte des Hauses nach und nach entwickelt. Am 10. Juli 1889 wurde die Firma im Handelsregister eingetragen. Drei Jahre später bekam sie das Prädikat Hoflieferant. Den Turnverein 1860 München gab es damals schon, der FC Bayern kam im Jahr 1900 dazu. Fußball und Sport als Freizeitbeschäftigung wurde immer beliebter. Ein erster Katalog zeigte 1904, wie man für jede Sportart angemessen angezogen sein konnte. Tennis- oder Hockey-Equipment importierte Münzinger anfangs aus England, bald schon ließ man Sportbekleidung, aber auch Ski und Schuhe hierzulande herstellen. Klara Münzinger, Schwiegertochter des Firmengründers, gilt als Pisten-Pionierin und sehr sportlich. Sie legte 1932 als einzige Münchnerin das Goldene Sportabzeichen ab. Von der Zeit des Zweiten Weltkrieges weiß man, dass viel beschädigt wurde im und am Rathaus und die US-Armee die nach Garmisch-Partenkirchen ausgelagerten Waren plünderte.

Nach Kriegsende ging es dann bald wieder bergauf für das Sportgeschäft. Die Leute wollten gerüstet sein für die Freizeit, für den Wassersport, fürs Bergwandern, Skifahren, Tennis und letztlich auch für den Fußball. 1955 konnte man eine Filiale in Laim eröffnen, ein Jahr zuvor hatte Münzinger die Bälle für die Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz geliefert. Von den Sechzigerjahren an stattete die Firma die Spieler der Bayern und der Sechzger aus. Die Vereine verstanden erst nach und nach, dass an Produkten mit ihren Logos viel zu verdienen ist. Auch Touristen lassen einiges Geld in München, das wurde spätestens mit den Olympischen Spielen 1972 klar. 500 000 Olympia-T-Shirts sollen damals unterm Lindwurm verkauft worden sein.

Drei Jahre später dann ein Tiefschlag für Sport Münzinger: Der Laden brennt aus, der Grund war ein Kurzschluss. Die Versicherung half und auch Ludwig Beck am anderen Rathaus-Eck, wo man vorübergehend unterkam. Selbst als die ersten Merchandise-Läden der Fußballvereine eröffneten, war das Spielfeld für alle noch groß genug.

2003 stieg Schuster bei Münzinger ein. Die letzte familieninterne Geschäftsführerin Dorothée Münzinger und andere Erben hatten kein dauerhaftes Interesse mehr. Die Familien kennen sich, sind einander seit Langem freundschaftlich verbunden. Flori Schusters Großvater ist Sepp Mauder, Illustrator und ein Bayern-Spieler der ersten Stunde. Er hat das Firmenlogo für Münzinger passend zum Standort im Rathaus entworfen - die Frauentürme zum M geformt. Auf den Rasensport zu setzen, schien folgerichtig zu sein. Im Sommer 2006 brachte die WM in Deutschland für Sportgeschäfte märchenhafte Einnahmen, danach kamen Europameisterschaften, das erste FC-Bayern-Triple und der Weltmeistertitel. Flori Schuster erzählt, dass er Gäste aus der arabischen Welt erlebt habe, die für drei Söhne je drei Paar Fußballschuhe kauften, weil sie die Größe nicht wussten. Und dazu packten sie jede Menge beflockte Trikots ein. 2014, zum 125-jährigen Bestehen von Münzinger, sagte Schuster zu einem Journalisten: "Wir sind ein hochrespektables Fußballhaus."

Ein solches soll auch die FC-Bayern-Welt werden, ein paar Meter vom Rathaus entfernt. Ein weiterer Grund, warum Münzinger jetzt schließt. Überm Eingang an der Weinstraße steht "Fans United." Ein friedvoller, sinniger Slogan. Geht man durch die Tür, sieht man vier sechseckige Platten im Boden. Sie erinnern an die WM-Endspiele, bei denen die deutsche Elf gewann. "Die Entscheidung, Münzinger aufzugeben, tut weh. Es ist ein Verlust, aber keine Niederlage", sagt Flori Schuster. Die Hexagone kommen nun ins Depot. Im Haupthaus ist für Fußball-Devotionalien vorerst kein Platz.

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SZ vom 27.11.2020
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