Süddeutsche Zeitung

Messerschmiede Dummer:Wieder ein Traditionsgeschäft weniger in München

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Ende des Jahres wird es sich in der Müllerstraße 13 ausgeschliffen haben - in jener Ladenwerkstatt, der einst Rudolph Moshammer seine Schneiderscheren zum Schleifen anvertraute. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe.

Von Franziska Gerlach

In den letzten Tagen dieses Ladens klingelt das Glöckchen an der Tür auffallend oft, da sind sich Vater und Sohn einig. Es hat sich herumgesprochen, dass es den "Fachbetrieb Dummer" bald nicht mehr geben wird, zumindest nicht an der Müllerstraße. Eine Kundin mit grauer Kurzhaarfrisur will ihre Scheren geschliffen haben, eine neue Schere kaufen, ein Kunde nimmt sein frisch geschärftes Kochmesser in Zeitungspapier gewickelt entgegen, der nächste möchte das seine schleifen lassen. 1914 hat die Familie Dummer ein paar Häuser weiter, an der Müllerstraße 17, eine "Stahlwaren-Schleiferei" eröffnet, 1975 zog das Familienunternehmen in die Müllerstraße 13 um. Doch Ende des Jahres wird es sich dort ausgeschliffen haben - in jener Ladenwerkstatt, der einst Rudolph Moshammer seine Schneiderscheren zum Schleifen anvertraute.

Ast- und Heckenscheren, Koch- und Tranchiermesser, Silberbesteck, Messer aus Rasenmähern, chirurgische Messer, Nagel- und Frisörscheren. Die Messer, mit denen Oboisten ihre Mundstücke zurechtschneiden, die sogenannten Buchdruckermesser, mit denen im Münchner Rathaus Papier geschnitten wird. "Alles, was schneidet, das schleifen wir", sagt Richard Dummer, der die Geschäfte seit 2002 leitet. Der 47-Jährige ist "Schneidwerkzeugmechanikermeister mit Fachrichtung Messerschmiedetechnik", so steht es auf der gerahmten Urkunde, die er gerade von der Wand genommen und auf den Verkaufstresen gelegt hat. Sein Vater Manfred Dummer und sein Großvater Hermann Dummer haben ebenfalls diesen auf das uralte Schwertschmiedehandwerk zurückgehenden Beruf erlernt. Mutter Lydia Dummer kümmert sich um Büroarbeiten und die Buchhaltung.

Dass Ende des Jahres Schluss ist an der Müllerstraße, dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Als das Haus den Eigentümer gewechselt habe, sei die Miete spürbar angestiegen, erzählen Vater und Sohn. Und weil in der Fraunhoferstraße Parkplätze einem Radweg weichen mussten, werde das Parken im Viertel immer schwieriger. Ihr Auto abstellen müssten die Kunden aber, die teils aus Berchtesgaden und Bad Tölz anreisten. Deshalb zieht der Familienbetrieb nun ins Gewerbegebiet von Kirchheim-Heimstetten im Landkreis München um; die große Schleifmaschine, fünf Meter lang und vier Tonnen schwer, wurde bereits dorthin transportiert. Statt eines Ladens wird es künftig "einen Showroom" geben sowie einen Online-Shop, auch Schleifaufträge sollen vermehrt übers Internet abgewickelt werden. Man will mit der Zeit gehen.

"Mei", sagt Manfred Dummer, 79, schwarze Steppweste über einem weißen Hemd, sein Vater sei damals auch nicht begeistert gewesen, als er angefangen habe, Rasenmäher und Messer aus der Gastronomie zu schleifen. Das sei ihm "zu grob" gewesen. 1941 hatte Hermann Dummer "einem Verwandten" die "Stahlwaren-Schleiferei" an der Müllerstraße 17 abgekauft, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er für den Rest seines Lebens vornehmlich Rasiermesser geschliffen - doch der Siegeszug von Einwegklingen und elektrischen Rasierapparaten erforderte neue Strategien.

Sentimentalitäten haben wenig Platz, wenn neben laufenden Geschäften ein Umzug organisiert werden muss. Manfred und Richard Dummer erzählen von dem Schleifereibetrieb, den sie zusätzlich zur Ladenwerkstatt an der Müllerstraße über 20 Jahre hinweg am Ostbahnhof geführt haben. 2014 mussten sie ihn schließen, weil er sich zu einem Minusgeschäft entwickelt hatte. Der Familienbetrieb hatte dort nicht nur Schleifarbeiten ausgeführt, sondern auch Messer für Maschinen produziert, mit denen Geldscheine, Versicherungsscheine oder die Seiten dicker Versandkataloge zugeschnitten wurden. Kataloge, wie es sie kaum mehr gibt. Der Versandhandel ist ins Internet abgewandert.

"Man muss den Wandel mittragen, sonst geht man unter", sagt Richard Dummer. Er scheint das bereitwillig zu tun: kein Stöhnen über Gentrifizierung, kein Jammern über die Wegwerfgesellschaft, kein Lästern über Billigware. Lieber setzt er "als Ausgleich" zu den Messern ein paar Buddha-Statuen ins Schaufenster. Nur dass es während der Arbeiten an den Trambahnschienen in der Müllerstraße zuletzt keinen Ersatzverkehr gegeben habe, darüber beschwert er sich dann doch. Gerade ältere Kunden seien darauf angewiesen. Zunehmend brächten mittlerweile aber auch junge Münchner ihre Messer zum Schleifen, die wollten ihre Sachen so lange wie möglich erhalten. Da liege er mit seinem Handwerk gewissermaßen im Trend, sagt der Messerschmiedemeister.

Als der Messerschmied seine Meisterprüfung ablegte, war er der einzige in Bayern

Groß und breit steht Richard Dummer am Verkaufstresen, in der Glasvitrine hinter ihm glänzt ein Dutzend Messer aus Solinger Stahl, über der Brust spannt ein T-Shirt mit Totenkopf-Aufdruck. Es gibt nicht mehr viele wie ihn: Als er 1999 in Bad Neustadt an der Saale seine Meisterprüfung abgelegt habe, sei er im Fachbereich Messerschmiedetechnik der einzige Prüfling aus Bayern gewesen. Als öffentlich-vereidigter Sachverständiger wird er gelegentlich ans Gericht bestellt. Er soll dann etwa beurteilen, ob ein Tatverdächtiger ein Messer vorsätzlich geschliffen habe - oder nicht.

Für Richard Dummer gab es nie eine Alternative zu seinem Beruf, er sei in der Schleiferei aufgewachsen, schon als Kind gestaltete er einen Würfel, in dessen Flächen er "Zahlen" hineinbohrte. Er nimmt ein Messer zur Hand, eines von der besonders scharfen Sorte. Kurz biegt sich die Schneide unter seinem Daumen, dann lässt er das Messer in seine ursprüngliche Position zurückfedern. Wer ein Messer per Hand schleifen wolle, sagt er, sollte in der Lage sein, das Resultat zu visualisieren. Man müsse sich vorstellen können, wie kleine Unebenheiten und Kerben im Stahl einer sauber polierten Fläche weichen. Klingt nach einem Job mit Verletzungsgefahr. Lässt sich dem Fachmann zufolge aber üben.

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