Süddeutsche Zeitung

Ausstellung am Marienplatz:Der russische Widerstand hat ein Gesicht

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Die eintägige Aktion "Faces of Russian Resistance" am Marienplatz zeigt die Schicksale von Kämpfern für den Frieden - und gegen Putin.

Von Stephan Handel

Es ist der übliche Samstagnachmittagstrubel in der Münchner Fußgängerzone, ein Vorgeschmack darauf, wie das werden wird, wenn das Weihnachtsgeschäft so richtig beginnt. Immerhin, der Kaufhof hat sein alljährliches Plüschtier-Schaufenster eröffnet, erwartungsgemäß drücken sich Kleinkinder die Nasen am Glas platt. Dahinter stehen die älteren Geschwister und versuchen sich nicht anmerken zu lassen, dass sie das ja auch herzallerliebst finden, wegen cool und so.

Nur wenige Meter weiter, an einem der U-Bahn-Aufgänge am Marienplatz, ist die Stimmung eine ganz andere. Auf den ersten Blick könnte das eine simple Baustellen-Absperrung sein. Aber da sind großformatige Porträts von Menschen, Text-Tafeln daneben. Die Bilder sind so angebracht, dass das Gitterwerk der Bauzaun-Elemente über die Gesichter geht. Die Symbolik stimmt - denn all diese Menschen sitzen in Russland im Gefängnis, weil sie ihre Stimme erhoben haben gegen den Krieg in der Ukraine, gegen die Unfreiheit, gegen Wladimir Putin, den Präsidenten.

Organisiert und zusammengestellt wurde die Ausstellung "Faces of Russian Resistance - Bild des russischen Widerstands" von einer Gruppe emigrierter Lokalpolitiker und Aktivisten. In München steht der Verein "Free Russians" hinter der Aktion. Er wurde 2022 von hier lebenden Russen gegründet, als Stimme des Protests gegen den Überfall auf die Ukraine. Der Verein habe 16 Mitglieder, aber mehr als 60 Freiwillige, sagt Natalia Korotkova, die stellvertretende Vorsitzende. Und einer Chat-Gruppe seien mehr als 1000 Menschen beigetreten. "Viele haben Angst, sich öffentlich zu bekennen", sagt Korotkova. "Zum Beispiel, weil sie noch Verwandte in Russland haben und die dann Repressalien fürchten müssten."

Neben der Öffentlichkeitsarbeit kümmert sich der Verein auch um Landsleute in der alten Heimat, indem er etwa behilflich ist, wenn es um die Organisation von humanitären Visa geht. "Eine normale Ausreise aus Russland ist heutzutage so gut wie unmöglich", sagt Korotkova.

14 Aktivisten greift die Ausstellung heraus - auch hierzulande bekannte wie den Antikorruptionskämpfer Alexei Nawalny oder die Journalistin Maria Ponomarenko, aber ebenso Menschen, deren Schicksal im Westen keine großen Schlagzeilen macht wie Michail Kriger, der zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, weil er ein pro-ukrainisches Lied gesungen hatte.

Für Menschen, die in einem Rechtsstaat leben, erscheint es nachgerade absurd, welche Legenden die russischen Strafverfolger konstruieren, um unliebsame Gegner hinter Gitter bringen zu können. Dem Menschenrechtler Juri Dmitrijew, der stalinistische Gräueltaten aufklären wollte, unterstellte man kinderpornographische Aktivitäten - wegen Fotos seiner Adoptivtochter, die, so gab Dmitrijew an, aus medizinischen Gründen entstanden waren. Er wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Auf einer der Tafeln wird die Zahl der politischen Gefangenen in Russland mit 590 angegeben. Natalia Korotkova von "Free Russians" hält das für zu niedrig: "Mittlerweile sind es bestimmt über 1000." Zudem dürfe man nicht vergessen, dass Gefängnis in Russland etwas anderes sei als in Deutschland: Die Gefangenen würden gefoltert, zu Zwangsarbeit gezwungen, vergiftet oder gleich erschossen, ohne Gerichtsurteil natürlich.

Obwohl Shopping-Nachmittag ist in der Münchner Fußgängerzone, stößt die Ausstellung auf nicht geringes Interesse - immer wieder bleiben Passanten stehen, lesen die Texte, kommen mit den Aktivisten ins Gespräch. Die meisten reagierten positiv, sagt Korotkova, vor allem Ukrainer bedanken sich, manche weinen. Allerdings: Gelegentlich gibt sich auch jemand als Putin-Unterstützer zu erkennen und wirft den Ausstellungsmachern vor, Unwahrheiten zu verbreiten. Das ficht die aber nicht an: "Auch in Russland sind viele Leute gegen den Ukraine-Krieg und gegen Putin", sagt Natalia Korotkova. "Dort ist es nur sehr schwer und sehr gefährlich, das auch öffentlich zu sagen."

Die Ausstellung "Faces of Russian Resistance" war in München nur am Samstag zu sehen. Nächste Stationen sind Riga in Lettland und Oslo in Norwegen.

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