Süddeutsche Zeitung

Nopelpreis-Kandidat aus München:Eiskalte Wissenschaft

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Immanuel Bloch kühlt Gas-Atome mit Laserlicht bis zum absoluten Nullpunkt, um ihr Verhalten zu studieren. Seine Erkenntnisse finden weltweit Beachtung, weil sie zu einer Technologie-Revolution beitragen können.

Von René Hofmann

Gut möglich, dass Immanuel Bloch dem einen oder anderen schon begegnet ist, zu Fuß rund um den Königsplatz. Oder auf dem Rad, entlang der Isar, Richtung Garching. Er habe "den schönsten Arbeitsweg, den man sich nur vorstellen kann", sagt Immanuel Bloch selbst, der in der Maxvorstadt in München wohnt und ein Büro an der Ludwig-Maximilians-Universität hat, wo er Physik lehrt, und eines in Garching im Max-Planck-Institut für Quantenoptik, dem er als Direktor vorsteht. An beide Orte bewegt er sich gerne aus eigene Kraft und wer Bloch, 50, einmal dabei beobachtet hat, der ahnt, wie zielstrebig er generell ans Werk geht.

Blochs Domäne ist die Quantenforschung, also der Teil der Physik, der sich mit dem Verhalten kleinster Teilchen befasst. Eine komplexe Materie, aus der sich in den nächsten Jahren gewaltige Technologiesprünge ergeben könnten - für die Messtechnik und die Sensorik. Ganz neue Computer könnten mit ihr entstehen. Aber auch in der Chemie könnten sie Revolutionen bringen und irgendwann vielleicht auch in der Pharmazie. Damit es so weit kommen kann, muss die Materie aber erst einmal durchdrungen werden, weshalb Wissenschaftler wie Bloch im Moment besonders gefragt sind: Grundlagenforscher.

Nach welchen Erkenntnissen er mit seinen Teams genau strebt? In seinen eigenen Worten erklärt Bloch das so: "Wir wollen sozusagen das Sozialverhalten von den Atomen verstehen, wie man in der Soziologie verstehen möchte, wie sich Menschen verhalten, wenn sie mit bestimmten Regeln zusammenkommen: Was machen die dann als Kollektiv? Wohin werden wir uns entwickeln?" Zwischen Atomen sind die Grundregeln nochmal viel geordneter. Aber was sich im gemeinsamen Verhalten dann ergibt, das ist gar nicht so leicht herauszufinden.

Um dem auf die Spur zu kommen, werden Laser und Gase eingesetzt. Wenn die Gas-Atome sehr, sehr kalt werden, lassen sich an ihnen bestimmte Phänomene studieren - Quanteneffekte. Nur: Wie bringt man so kleine Teilchen dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad nahe? Dafür werden die Laser eingesetzt. Wie ein Wind wird das Licht aus allen Richtungen gegen die Atome gerichtet, sodass diese sich abkühlen, sich verlangsamen und so studieren lassen. Was simpel klingt, ist in der Praxis aber mit einem mächtigen Aufwand verknüpft. Die Studenten in Blochs Teams verbringen viele Stunden in den Versuchslaboren.

Seit 2009 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching und Professor an der Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Angebote der Stanford-Universität und der Universität Yale hatte er 2003 abgelehnt und sich für ein paar Jahre lieber nach Mainz orientiert. Was ihn in München hält, wo er einst auch promovierte? "Die einmaligen Möglichkeiten", sagt Bloch, "am Max-Planck-Institut können wir die Grundlagenforschung unter fantastischen Bedingungen vorantreiben. Und dann gibt es die Uni-Seite: die Lehre - jungen Leuten die Ideen beizubringen, die man selber so faszinierend findet. Ich habe viel Spaß an dieser Kombination."

Die Faszination für ultrakalte Quantengase reifte allerdings erst über die Jahre. Bloch wurde 1972 in Fulda geboren und wuchs in einem Dorf bei Schlüchtern in Hessen auf ("mit mehr Kühen als Menschen"). Die Mutter Deutsch- und Geschichtslehrerin ("Das hat nicht so ganz eingeschlagen"), der Vater Chemiker ("Ein bisschen ein Faible für Naturwissenschaften war also schon immer da"). Die Chemie verfing nicht ("Das war mir irgendwie zu viel Kochen, nicht genau genug"), ein Schülerjob in einer Firma für Messtechnik führte zur Physik: "Das hat mir genau gezeigt, was ich machen wollte. Die technische Komponente, die mir immer viel Spaß gemacht hat, damit zu verbinden, grundlegende Fragen zu untersuchen, zu experimentieren und dabei aber möglichst exakt zu sein." Damit waren die Grundlagen gelegt.

Die Quantenforschung boomt derzeit. Weltweit. Insbesondere aber auch in München. Die Infrastruktur stimmt, die Labore sind gut, die Angebote für Studenten wurden sukzessive ausgebaut, zuletzt mit einem Masterstudiengang für Quantum Science & Technology, der Talente aus aller Welt mit dem nicht unbescheidenen Versprechen lockt: "Join the 2nd Quantum Revolution!" - "Sei dabei bei der zweiten Quantenrevolution!" Es herrscht also Aufbruchstimmung. Auch in vielen Firmen, die sich viel versprechen von der neuen Technologie und deshalb mit den Universitäten in einen Art Forschungswettlauf getreten sind. Und dass High-Tech-Firmen wie Apple und Google ihre Präsenz in München ausbauen, wird die Szene weiter beleben, da ist Bloch sich sicher: Hochkarätige Firmen versprechen lukrative Arbeitsplätze und wirken entsprechend wie Magneten.

Ein Physik-Klischee stimmt allerdings immer noch: Es ist ein überwiegend männliches Metier. Unter den Studienanfängern liegt die Frauenquote in München wie auch international ungefähr bei 20 Prozent. In allen Tech-Clustern - ob Boston, San Francisco, Berkeley, Stanford oder Paris, aber auch in China - ist das ähnlich: Überall werden Professorinnen gesucht, die als Rollenmodelle dienen können. "Aber ich kenne leider keine Institution in der Physik, die da bislang ein entscheidendes Erfolgsrezept hat", sagt Bloch.

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