Süddeutsche Zeitung

Leerstand von Wohnungen:Stromzähler als Spione

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Die Linke drängt die Stadt, härter gegen den Leerstand von Wohnungen vorzugehen - und schlägt innovative Methoden zur Kontrolle vor.

Von Bernd Kastner

Die Linke im Stadtrat will den Leerstand von Wohnungen bekämpfen - und die Stadt dazu drängen, konsequenter gegen diesen Missstand vorzugehen. 47 000 Wohnungen stünden in München leer - so heißt es mehrfach in einem Antragspaket, das die Fraktion von Linke und Die Partei am Freitag vorgestellt hat. 47 000? Das entspräche den Wohnungen eines ganzen Stadtbezirks. Die Zahl ist offiziell, die Stadt hat sie im November auf eine Anfrage der Linken hin genannt. Allerdings muss sie eingeordnet werden. Die Zahl ist das Ergebnis der Hochrechnung einer Momentaufnahme im Mikrozensus 2018 und umfasst alle unbewohnten Wohnungen, also auch jene, die nur kurz und legal etwa wegen Mieterwechsels leer sind.

Eine verlässliche Zahl, wie viele Wohnungen vermeidbar leer stehen, gebe es laut Planungsreferat nicht. Stefan Jagel, Fraktionschef der Linken, macht dagegen eine einfache Rechnung auf: Wenn man von der Leerstandsquote von 6,2 Prozent laut Mikrozensus etwa die Hälfte als akzeptable Fluktuationsquote abziehe, blieben immer noch um die 25 000 Wohnungen, die "echt" und damit illegal leer stehen. Von drei Monaten an gilt Leerstand als Zweckentfremdung, sofern es keine nachvollziehbaren Gründe für den Leerstand gibt, etwa eine Sanierung.

Das Planungsreferat sagt zu dieser Rechnung: gar nichts. Man habe ja keine Daten, um sie zu überprüfen. Linken-Fraktionschef Jagel ist sicher: Der Leerstand ist viel zu hoch. In Deutschlands teuerster Stadt ist das ein Politikum. 2014 löste das Bekanntwerden Hunderter leerer Wohnungen heftige Kritik an der Stadt aus - denn es handelte sich um städtische Wohnungen.

Um die Dimension des mutmaßlichen Missstands zu erfahren, wollen die Linken verlässliche Daten erheben lassen. Und dabei sollen die Stadtwerke helfen. Wenn es nach Fraktionschef Jagel geht, solle über den Stromzähler ermittelt werden, wenn eine Wohnung ungenutzt ist; andere Städte machten dies bereits, Dortmund etwa. Das erleichtere den städtischen Leerstandsrechercheuren die Arbeit. Zudem sollen die Vermieter mit einer Meldepflicht belegt werden: Bisher ist es Sache städtischer Mitarbeiter, Leerstand aufzuspüren; was sie nicht entdecken, bleibt ungeahndet - und erst mal leer. Künftig sollen Eigentümer offiziell angeben müssen, wenn sie eine Wohnung länger als drei Monate nicht vermieten. Bei Verstößen dagegen soll ein hohes Bußgeld drohen.

Druck auf Immobilieneigentümer soll künftig auch über das Androhen einer Beschlagnahmung ausgeübt werden. Wenn sie ihr Haus leer stehen und verwahrlosen lassen, soll die Stadt als Treuhänderin das Objekt sanieren dürfen - auf Kosten des Eigentümers. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) soll sich nach dem Willen der Linken beim Freistaat für die dafür nötige Verschärfung des Zweckentfremdungsgesetzes einsetzen.

Während mutmaßlich Tausende Wohnungen leer sind, haben etwa 9000 Menschen in München keine Bleibe

Parallel solle die Stadt ihre eigenen Regeln verschärfen, konkret die Zweckentfremdungssatzung: Bisher heißt es darin, dass Baumaßnahmen "zügig" umgesetzt werden müssten. Was aber heißt "zügig"? Die Linke will das konkretisieren auf zwölf Monate. In dieser Zeit müsse sich eine sanierungsbedürftige Wohnung renovieren lassen, sagt Jagel. Wenn es länger dauere, müsse es begründet werden.

Um energischer den illegalen Leerstand zu bekämpfen, solle die Stadtverwaltung eine "Taskforce Leerstand" einsetzen: Mitarbeiter aus Sozial-, Planungs- und Kommunalreferat sollen das Problem konzertiert angehen. Und dann will die Linke, dass das Planungsreferat ein Instrument aus dem Baugesetzbuch anwendet: das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot. Damit solle zum Beispiel durchgesetzt werden, dass ein denkmalgeschütztes Haus in der Agnesstraße nach Jahren des Leerstands endlich hergerichtet und wieder vermietet werde.

Generell dürfe die Stadt nicht nur auf konsensuale Lösungen mit den Eigentümern warten. In den vergangenen zehn Jahren hat die Stadt nach eigenen Angaben kein einziges Mal auch nur geprüft, den Zwangshebel aus dem Baugesetzbuch anzuwenden.

Das Anwesen in der Agnesstraße gehört zu den bekanntesten leer stehenden Objekten. Die Linke hat einige weitere Beispiele recherchiert. Es sind begehrte und teure Adressen darunter, einige in Schwabing und der Maxvorstadt. Jagel und Fraktionsmitarbeiter Christian Schwarzenberger haben teilweise auch die Wertsteigerungen während des Leerstands ermittelt, sie sind enorm und mitunter Anreiz für Spekulation. Das sind für Jagel Belege dafür, wie groß das Problem in München ist, wo es aus der Verwaltung gerne heißt, Leerstand sei kein wirkliches Problem. Der Missstand habe vielmehr eine weitere, schmerzhafte Dimension, betont Jagel: Während mutmaßlich Tausende Wohnungen leer sind, haben etwa 9000 Menschen keine eigene Wohnung und sind auf Notquartiere angewiesen. Und 1000 leben auf der Straße.

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SZ vom 24.04.2021
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