Süddeutsche Zeitung

Westend:Brennpunkt Verkehrslärm

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Krach und Hitze setzen den Menschen in der Stadt zu. Ein Spaziergang mit Messgerät an der Landsberger Straße

Von Kilian Beck, Westend

Eine Straßenbahn rattert an der Haltestelle Barthstraße auf der Landsberger Straße los. "Diese Stelle ist mir ein großer Ärger", sagt Gunhild Preuß-Bayer. 76 Dezibel misst sie mit ihrem Lautstärkemessgerät, als die Tram an ihr vorbeifährt. "Hier kommt vieles zusammen, Menschen, Verkehr und die Straßenbahn", erklärt sie denen, die sich dem Stadtteilspaziergang durchs Westend zum Thema Lärm und Hitze angeschlossen haben. Es ist kurz nach vier Uhr nachmittags. Das sei, so Preuß-Bayer, nicht die lauteste Uhrzeit dort. Wenn gleich die Angestellten aus den umliegenden Büros Feierabend haben, ist hier besonders viel los. Die Sonne brennt unerbittlich auf den Asphalt in der Straßenschlucht. Das Thermometer von Maria Ernst zeigt 32 Grad Celsius. "Hier steht die Luft", sagt die Mitarbeiterin des Gesundheitsladens an der Astallerstraße.

Seit 1994 organisiert Preuß-Bayer Exkursionen, um die Münchner auf Gefahren von Lärm und dessen Quellen aufmerksam zu machen. "Man muss das Thema im Zusammenhang mit der Hitze betrachten", sagt Maria Ernst. Ihr sei das wichtig, da die Hitze Menschen in ihren Wohnungen zwinge, Fenster zu öffnen, die dann keinen Lärmschutz mehr böten. "Mit dem Lärmaktionsplan wäre einiges möglich gewesen, aber die Stadt beschränkt sich leider viel zu oft auf Schallschutzfenster", kritisiert Preuß-Bayer.

2008 gab der Stadtrat den Lärmaktionsplan in Auftrag, um sich einen Überblick über die Lärmbelastung im Stadtgebiet zu verschaffen. 2013 wurde ein Katalog möglicher Maßnahmen nachgeschoben. Damit kam die Stadt einer EU-Umgebungslärmrichtlinie aus dem Jahr 2002 nach. Das damalige Ziel: den Verkehrslärm reduzieren. Außerdem wurde ein Förderprogramm mit einem Volumen von 810 000 Euro zum Einbau von Schallschutzfenstern aufgelegt. Wie das Gesundheits- und Umweltreferat (RGU) auf Nachfrage mitteilt, seien noch 480 000 Euro im Fördertopf. Weiter führt die Behörde aus, dass die Landsberger Straße auf mögliche aktive Lärmschutzmaßnahmen - wie Verkehrsverflüssigung und lärmarme Tramgleise - untersucht wurde. Dies habe sich als "nicht realisierbar" herausgestellt, weshalb auf passive Maßnahmen wie Schallschutzfenster zurückgegriffen wurde, so ein RGU-Sprecher. "Gerade beim Verkehrslärm sehe ich viele Möglichkeiten, das zu reduzieren", sagt Michael Czisch (Grüne), Mitglied des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe und einziger Anwohner beim Spaziergang.

Die Gruppe spaziert an der vierspurigen Landsberger Straße entlang zum Parkplatz hinter dem Zollamt, der direkt an die Gleistrasse grenzt. Ein Regional-Express rauscht vorbei, 80 Dezibel zeigt Preuß-Bayers Messgerät. Gerade Züge, die nah an den Wohnhäusern entlang fahren, seien ein Problem, sagt sie. "Der dumpfe, tieffrequente Lärm dringt ins Unterbewusstsein ein." Preuß-Bayer gesteht der Bahn zu, einiges für den Lärmschutz getan zu haben, allerdings dauere das alles sehr lange. Ein Bahn-Sprecher erklärt, dem Unternehmen lägen keine Beschwerden über Gleislärm im Innenstadtbereich vor. Weiter zeigt er sich "irritiert", dass gerade dort die Rede von einem Lärmproblem sei, obwohl gar keine Güterzüge verkehrten.

Bis auf vereinzelte Bäume bedecken Kopfsteinpflaster und Asphalt die Freifläche zwischen dem Zollamt und den Gleisen. "Hier staut sich die Hitze, und wenn es stark regnet, kann das Wasser nicht richtig ablaufen", erklärt Ernst. "Und durch die Bebauung bis an die Gleise heizt sich die Stadt weiter auf - die Frischluftschneise fehlt", ergänzt Preuß-Bayer. Das Thermometer ist inzwischen von 26 Grad im Schatten der Bäume auf 34 Grad geklettert. Das Gesundheits- und Umweltreferat sieht die Begrünung des Viertels, etwa der Fassaden, als langfristigen Lösungsansatz.

Unter der Donnersbergerbrücke rauschen Autos und Straßenbahnen hindurch. Preuß-Bayer misst 84 Dezibel, als eine Tram und ein Lastwagen passieren. An der viel befahrenen Kreuzung erläutert Czisch seine Vorstellung von modernem Stadtverkehr. "Wir müssen restriktiver werden und davon wegkommen, dass viele selbstverständlich mit dem Auto in die Innenstadt fahren", sagt er. Das Wiener ÖPNV-Modell sei daher ein Vorbild. Dort kostet ein Jahresticket 365 Euro. Seit diesem Monat gibt es ein solches Angebot - zumindest für Schüler und Auszubildende - auch in München.

Gegen den Lärm brauche es auch mehr Tempo-30-Zonen, sagt Maria Ernst. Sie sieht in Lärm und Hitze auch ein soziales Problem, da oft weniger Privilegierte an den lauten, heißen Hauptstraßen wohnten. "In kleinen Wohnungen müssen sie sich dann entscheiden: Hab ich es brütend heiß oder laut in der Wohnung."

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SZ vom 26.08.2020
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