Süddeutsche Zeitung

Kultur in München:Wie Frauen als DJs die Musik verändern

Lesezeit: 4 min

In Clubs und auf Festivals sind mehr Frauen zu hören als früher, obwohl die Hürden für weibliche Discjockeys nach wie vor hoch sind. Aber das könnte auch ein Vorteil sein.

Von Wolfgang Westermeier

Der Ambient-Floor auf dem Monticule-Festival ist als "No Dance Area" deklariert: Auf dem Boden liegen Teppiche und Kissen, das DJ-Pult ist knapp einen Meter hoch, dahinter steht eine Couch. Die Besucher liegen herum. Rauchen. Unterhalten sich. Entspannen zu den dahinplätschernden Klängen der Musik. Rosa Luckow, 23, und Hannah Weiss, 26, die in wenigen Minuten das DJ-Pult übernehmen sollen, sind mit diesem Set-up nicht zufrieden: zu wenig Energie. Die Couch schieben sie nach hinten, das Pult erhöhen sie mit ein paar Getränkekisten so, dass sie dahinter stehen können. Dann sind sie bereit für ihren Auftritt.

Zwei Stunden später, zum Ende ihres DJ-Sets, ist die Tanzfläche brechend voll. Die Menschen bilden eine tobende Masse - sie johlen, klatschen, wollen mehr. Das provisorisch erhöhte Pult müssen Hannah und Rosa immer wieder verschieben, so sehr drängen sich die Tanzenden in ihre Richtung. Auf einem fünftägigen Festival, das sich mit vielen international bekannten DJs im Line-up rühmt, haben Hannah und Rosa das Set gespielt, das allen im Gedächtnis bleiben wird: ein Trance- und Eurodance-Set. Auf dem Ambient Floor.

Ausgerechnet Eurodance. Das Genre erlebte Mitte der Neunzigerjahre seinen Höhepunkt. Hits wie "Rhythm Is a Dancer" von Snap! oder "What Is Love" von Haddaway führten die Charts an. Im Fernsehen sah man viele Neon-Stirnbänder, Inlineskates und Männer in lächerlichen Raumfahreranzügen. Nach heutiger Ansicht vieler Musikkenner gehören die popkulturellen Errungenschaften von damals auf den Müllhaufen der Musikgeschichte.

Das Gegenteil ist der Fall: Seit ein paar Jahren wird ausgegraben und recycelt, die Stars von früher stehen wieder auf der Bühne und heizen Neunzigerjahre-Nostalgie-Partys an. Doch hinter dem Set von Hannah und Rosa steckt mehr.

Die seit jeher männlich dominierte DJ-Szene in München hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt: Sie ist ein Stück weiblicher geworden - und damit verändert sich auch die Musik, die auf Partys und Festivals zu hören ist. "Hannah und Rosa haben auf paradoxe Weise einen Vorteil", sagt Julian Borngräber. Der 28-Jährige kennt die beiden Frauen schon länger. Er legt bereits seit mehr als zehn Jahren auf, seit knapp drei Jahren ist er als DJ Pee Bee bei dem Münchner Online-Sender Radio 80 000, bei dem auch Hannah und Rosa eigene Shows haben. "Die Hürde, die Frauen aufgrund von Geschlechterstereotypen überwinden müssen, um überhaupt aufzulegen, ist viel höher als für die meisten Männer", sagt Julian. Ein Set wie Hannah und Rosa zu spielen, sagt er, "hätte ich mich nicht getraut". Er hat dafür auch eine Erklärung: "Ist die Hürde aber erst einmal überwunden, fällt es auch leichter, noch ein bisschen weiter zu gehen, zu experimentieren."

Radio 80 000 spielt in dieser Entwicklung eine wichtige Rolle. Amanda Stach, 26, ist seit der Gründung 2015 dabei und legt seit Anfang an Musik auf. "Das Radio ist eine tolle Plattform", sagt Amanda. Während es vor vier Jahren nur eine Liveshow am Tag gab, sind es heute oftmals bis zu sechs. Die beiden Gründer Felix Flemmer und Leo Bauer haben sich von Anfang an bemüht, so viele Frauen wie möglich ins Programm zu holen. "Felix und Leo haben es geschafft, einen Ort zu schaffen, bei dem man sich nicht so sehr als Mädel vorkommt, sondern als Teil von einem großen Ganzen", sagt Amanda. Bevor sie mit ihrer Show bei Radio 80000 begann, hatte sie keine Erfahrung als DJ. Vor zwei Wochen durfte sie bei der legendären Eventreihe "Boiler Room" spielen - eine Ehre, von der jeder ambitionierte DJ träumt, die aber nur sehr wenigen zuteil wird.

"Ohne das Radio wäre das sicher nicht so einfach gegangen", sagt Hannah über das Monticule-Set. Zusammen mit Rosa sitzt sie auf einer Bierbank vor dem Radio-80 000-Studio im Container Collective am Ostbahnhof. So richtig verstanden haben sie selbst noch nicht, was bei dem Auftritt los war, als plötzlich alle auf dem ruhigen Ambient-Floor zu tanzen begannen. "Mich hat das schon Mut gekostet", sagt Hannah. "Ich hatte wirklich keine Ahnung, ob das ankommen würde." Sie macht gerade ihren Master an der Musikhochschule in München. Jazz-Gesang. Auch in ihrer Sendung spielt sie meistens Jazz - eine Leidenschaft für elektronische Musik hat sie schon immer. "Für mich ergänzen sich die beiden", sagt Hannah. Sie trägt ein kurzes, hellblaues Top, schwarze Plateausandalen, in ihre rechte Augenbraue hat sie sich eine kleine Kerbe rasiert.

Rosa - schwarzes Tanktop, klobige Turnschuhe, die breite, transparente Sonnenbrille in die Haare geschoben - studiert Medizin. Im Gespräch wippt sie immer wieder mit dem ganzen Körper. Immer dann, wenn sie der Beat aus dem Studio packt, der im Hintergrund zu hören ist. Sie lächelt in diesen Momenten.

"Vielleicht haben wir den Vorteil, dass wir eine gewisse Leichtigkeit mitbringen", sagt Rosa. "Ich suche meine Musik aus, ohne irgendeine Ahnung zu haben, was als schlecht oder gut gilt." Und tatsächlich war das Set der beiden weit davon entfernt, ein ironischer Abriss über die Musik der Neunzigerjahre zu sein. Der eine oder andere Eurodance-Klassiker war zwar dabei, im Mittelpunkt des Sets stand jedoch komplexer, eher unbekannter Trance.

"Viele DJs meinen, besonders clubfreundlich auflegen zu müssen", sagt Julian. "Dadurch wird die Musik primär nach Geschwindigkeit ausgesucht, was schnell monoton wird." Ein Problem, von dem viele Frauen weniger betroffen sind, sagt zumindest Julian: "Da habe ich das Gefühl, dass es erst einmal nur um die Musik geht." Sein Fazit: Steht eine Frau hinter dem DJ-Pult, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Musikauswahl diverser, mutiger ist.

Sophie Pschorr, 22, ist ein gutes Beispiel dafür. Auch sie hat eine eigene Show bei Radio 80 000. Dort spielt sie hauptsächlich Musik aus den Achtzigerjahren: viel Synthesizer, New Wave, Post-Punk. Fragt man sie, wie sie als DJ mit dieser Musik ankommt, muss sie länger überlegen. Und kommt dann zu dem Schluss, dass sie sich darüber noch nie Gedanken gemacht hat. "Das Tolle am Radio 80000 ist, dass es so viele unterschiedliche Shows mit so unterschiedlicher Musik gibt", sagt Sophie. "Die Leute, die meine Musik mögen, hören meine Sendung - und für alle anderen gibt es eben eine andere."

Während es langsam Fortschritte in der Diversität hinter den DJ-Pults gibt, sind die Veranstalter, die Booker und die Organisatoren fast immer nach wie vor männlich. "Die Clubs in München könnten ein bisschen mehr darauf achten, lokale DJs zu pushen", sagt Amanda. "Schließlich sind es nicht die externen Star-Bookings, die das Nachtleben in einer Stadt ausmachen, sondern die Menschen, die hier leben."

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Quelle:
SZ vom 22.07.2019
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