Süddeutsche Zeitung

Konzert in der Milla:Von der Zuckerwatte zur toten Ratte

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Liedermacher Tristan Brusch wurde mit seinem schillernden Album "Das Paradies" bekannt. Nun tourt er mit seiner aktuellen Platte "Am Rest". Die Songs: reduziert, dreckig und schmerzhaft.

Von Anna Weiß

Manchmal geschieht das in Großstädten. Man steht an einer Haltestelle und während des Wartens fängt die murmelnde Person neben einem, deren Gefühlsregungen einem bisher verborgen waren, plötzlich das Brüllen an. Sie lässt dann in unflätigsten Worten ihre Emotionen raus, die vor allem eins sind: intensiv.

Ähnlich beginnt "Am Rest", das aktuelle Album des Liedermachers Tristan Brusch. "Zwei Wunder am Tag" heißt der erste Song. Verträumt die Melodie, sanft die Stimme, kapitalismuskritisch der Text, ohne Plattitüden. Unvermittelt kippt das Stück, Brusch schmettert "Herein, herein, herein, immer alles in die" und dann folgt ein Nominalkompositum, dessen zweiter Teil sich auf Kotze reimt.

Brusch, Anfang 30, Wahl-Berliner, ist kein Provokateur um des Provozierens willen. Er passt nicht in die Schablonen der Musikbranche. "Meine Lieder sind realistisch und schmerzhaft-ehrlich. Schmerz ist eine Qualität, die in unserer Gesellschaft negiert wird. Alle wollen Mental Health und Wellness, ich stehe da mit meinen Texten diametral gegenüber", sagt Brusch am Telefon. Zu hören im Titelsong "Am Rest", der all die Vertrautheit, Unsicherheit und den Kummer bündelt, dem Paare im Trennungsstadium bei ihren letzten Begegnungen ausgesetzt sind.

Der Unterschied zwischen der Platte und Bruschs vorherigem Album "Das Paradies" ist enorm, ein Sprung von Zuckerwatte zur toten Ratte. War "Das Paradies" noch poppiger, Synthesizer-lastiger, mit pastelligen Musikvideos, ist "Am Rest" puristischer. Die Songs sind live aufgenommen, Gitarre, Bass, Schlagzeug, manchmal Bassklarinette. Es tummeln sich Mäuse, Ratten und Tauben in der besungenen Stadt. Die Themen: Liebe, Identität, Großstadtleben. Das Besondere ist, dass die Stücke nie ins Klischeehafte rutschen, auch wenn gängige Motive benutzt werden.

Vielleicht hätten die "Blumen des Bösen" so geklungen, wenn sie nicht im Paris des 19. Jahrhunderts, sondern im Berlin der 2000er nahe des Kottis entstanden wären. "Ich habe erst eine Idee, was ich sagen will, dann entsteht das Lied", sagt Brusch. "Das ist keine Aneinanderreihung von atmosphärischen Worten. Ich assoziiere Sätze, wie eine Mind-Map im Kopf, und das ist dann oft schon der Text." Er vermutet, dass seine Musik daher vergleichsweise "nicht besonders erfolgreich ist. Die Texte sind Spiegel meiner Seelenreise, komplett antikommerziell, Momentaufnahmen meiner Gedanken."

Bilder, die er über Instagram verkauft, haben ihn über viele Monate gerettet

Dadurch lebte Brusch, der immer nur Musik machte, lange am Existenzminimum. Bekannter wurde er durch die Deutsch-Rapper Orsons, die eine Melodie von ihm sampelten, seitdem arbeitet er oft mit ihnen. Vor der Pandemie konnte er von seinen Touren leben, im Januar diesen Jahres, als er nicht auftreten konnte, dachte er ans Aufhören. Doch: "Ich male auch Bilder, die ich über Instagram verkauft habe. Das hat mich über viele Monate gerettet. Es ist absurd, dass für Kunst so viel gezahlt wird". Vor allem in Vergleich zu dem, was man mit Musik verdiene.

Mit Musik wuchs er auf: Er lernte als Kleinkind die Instrumente der Eltern, Geige und Klavier, entdeckte die Gitarre für sich. Er verbrachte Teile seiner Kindheit in dem Wohnwagen, in dem die Familie auf den Tourneen wohnte. Zu hören im letzten Song des Albums, "Das Leben ist so schön". Der melancholische, auf Stimme und Gitarre reduzierte Chanson entlässt die Hörenden mit Wehmut und der wohligen Wärme, die das "Bütterken", das der Papa bereitet, verströmt. Kommende Woche spielt Tristan Brusch genau so, nur mit seiner Gitarre, in der Milla. Wie schön.

Tristan Brusch, Do., 1.9., Beginn 20 Uhr, Milla Club, Holzstr. 28, Tickets ab 22 Euro, mehr Info www.milla-club.de

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