Süddeutsche Zeitung

Konzert:Urlaub vom Ich

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Max Gruber alias Drangsal schlägt mit seiner aktuellen Platte "Exit Strategy" neue Wege ein - die Tour dazu führt ihn auch nach München.

Von Anna Weiß

Ganz gleich, welche entlegenste Winkel der Welt aufgesucht werden, ihm entkommt man nicht - dem "sich umgrenzenden Ich". So schreibt es Gottfried Benn im Gedicht "Reisen" von 1950, nun hat ein anderer deutscher Künstler dieses Problem: "Mein Kopf hängt in den Wolken, doch es regnet in Strömen. Scheint, als würde ich mich niemals an mich selber gewöhnen - ich brauche Urlaub, Urlaub von mir", singt Max Gruber alias Drangsal in "Urlaub von mir". Das Stück findet sich auf dem dritten, musikalisch und textlich aufregenden Album des 29-Jährigen: "Exit Strategy" ist 2021 erschienen und markiert einen Wendepunkt im künstlerischen Schaffen des Mannes, der Drangsal ist und mit seinem Ich hadert.

Drangsal erregte 2016 mit seinem Debütalbum "Harieschaim" Aufmerksamkeit: Was ist das für ein Künstlername? Der eines Bestattungsinstituts in seiner rheinland-pfälzischen Heimat. Was ist das für ein Typ? Ein Multiinstrumentalist, Soundtüftler, ein schlaksiger, tätowierter Kerl, der aussah, als sei er aus einem Londoner Nachtclub in den Achtzigern in die Gegenwart gebeamt worden. So klang er auch: Die Fachpresse überschlug sich in Vergleichen mit New-Wave-Ikonen, Post Punk und der Neuen Deutschen Welle, denn Gruber sang auf Deutsch und Englisch. "Das ist halt Teil des Zirkus', und das meine ich überhaupt nicht despektierlich. Die müssen halt Referenzen dazuschreiben, damit die Leute wissen, wie das klingt", sagt er im Telefongespräch. Er habe sich damals in die Ecke gedrängt gefühlt: "Da war die Erwartungshaltung, dass es wieder so kühl, englisch wird, in die New-Wave-Richtung geht. Bei mir geht da die etwas kindische Abwehrreaktion los, dass ich mit der Erwartungshaltung brechen möchte. Und das finde ich auch viel interessanter."

So geschehen mit der zweiten Platte "Zores", die ersten Schlager-Vergleiche kamen auf. "Neo-Schlager" wurde gerne bemüht, Gruber findet "Brutalo-Pop" amüsant. "Exit Strategy" beinhaltet nur deutschsprachige Songs und ist wörtlich zu verstehen: der Versuch, sich selbst zu entkommen. Stimmungsmäßig zwischen Coming-of-Age und Therapie. In Interviews aus 2021 spricht Gruber von Selbsthass, dem Wunsch, aus sich herauszutreten. Schon der erste Song heißt "Escape Fantasy". Während es im Titeltrack heißt "Manchmal wünscht' ich, ich wär' nicht da", wird es in "Rot" zu einem dringlichen "Ich wünscht', ich wäre nie geboren".

War die Arbeit an diesem Album eine Katharsis? "Eher ein Reality-Check", so Gruber. Er beschäftige sich weiterhin mit diesen Themen. Wie man sich bei schlechtem Wetter im Urlaub mit "hinten wird's schon heller" aufzumuntern versucht, klingt "Exit Strategy" gegen Ende zumindest vom Arrangement etwas heiterer. Oder? "Bei mir ist es so, dass alles, was hintenansteht, am wenigsten gut ist. Das ist jetzt Nerd-Talk, aber der Mix hätte bei ein paar Songs anders sein können. 'Benzoe' zum Beispiel ist live viel druckvoller." In München kann man sich davon am 26. August. im Backstage überzeugen. Während des Telefonats befindet sich Gruber auf einer italienischen Autobahn, er ist im Urlaub. Sofern dies möglich ist.

Drangsal, Exit Strategy Tour, 26.8., 20 Uhr, Backstage München, Reitknechtstr. 6, backstage.eu

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