Süddeutsche Zeitung

Kampagne für 2020:Die CSU will vorwärts in die Vergangenheit

Lesezeit: 3 min

Von Heiner Effern

Die CSU hat einen Ort gefunden, der in ihren Augen perfekt zur Präsentation ihrer Kampagne für die Kommunalwahl passt. Sie hat Weißwürste und Brezen auf die Tische stellen lassen, und als Teil ihrer Strategie ganz viele Senfgläser dazu. Davor ist in der Gaststätte in der Großmarkthalle ein menschenhohes Buchstabenkonstrukt aufgebaut.

Es besteht aus drei Wörtern: "Wieder München werden". So heißt der Slogan, der die CSU im März 2020 zur stärksten Fraktion und ihre Kandidatin Kristina Frank zur Oberbürgermeisterin machen soll. Die Christsozialen wollen mit ihrer Kampagne für eine Politik werben, die die Stadt im Ganzen wieder in einen Zustand versetzt, wie er im Wirtshaus an der Großmarkthalle noch existiert. Ein Ort, "an dem München ganz bei sich ist", sagt Bezirkschef Ludwig Spaenle.

Als Basis haben sie dafür mit ihrer Agentur aus Augsburg, die bereits den Wahlkampf von Josef Schmid 2014 geplant hat, die Befindlichkeit Münchens analysiert. Das Ergebnis muss gelautet haben: München ist nicht mehr ganz bei sich. Beispielhaft dafür präsentiert die CSU auf einem Monitor einen Film, der ein düsteres Bild der Stadt zeichnet. Bürger beschreiben in Zusammenschnitten die Stimmung abwechselnd als aggressiv, kalt und freudlos.

Ein Stadt kurz vor dem Tod durch Ersticken. Die CSU will nun bei einer Tour durch die Viertel mit den Menschen besprechen, in was für einer Stadt sie leben wollen. "Was die DNA Münchens ausmacht", wie OB-Kandidatin Frank sagt. Dabei werden sie auch ganz viele Gläser Senf verteilen, mit der Aufforderung an die Besucher, ihren ganz persönlichen Senf zur Stadtanamnese dazuzugeben.

Die CSU hat für sich schon eine politische Kur für die ausgemachte Misere der Stadtgesellschaft gesucht und eine Referenz gefunden, die sie als Zukunftsziel ausgibt: die Werte der Vergangenheit. Sinnbildlich dafür zeigte der Monitor vor dem Film ein historisch anmutendes Standbild von Nackerten im Englischen Garten. Locker im Gras liegend. "Wir nehmen München als unheimlich gestresst wahr, wollen der Stadt die bayerische Gemütlichkeit zurückgeben", erklärte Frank. Erreichen wolle sie das aber mit Mitteln moderner Politik. "Wir wollen uns nicht nach hinten entwickeln."

München drohe "gesichtslos" zu werden

Sie verdeutlicht das an einem Beispiel aus der Kampagne, an drei Werbeplakaten zum Thema öffentlicher Nahverkehr mit der Botschaft: Die Münchner sollen wieder entspannt und ohne Ellenbogen im Rücken U-Bahn fahren können. Das will die CSU nicht dadurch erreichen, dass sie die letzten hunderttausend Zuzügler aus dem Jahr 2018 wieder wegschickt, sondern durch den Bau von neuen U-Bahnlinien.

Bürgermeister Manuel Pretzl räumt ein, dass die CSU mit Gegenwind rechnet. Er erwarte mit diesem Slogan "keine Wohlfühlkampagne". Doch München drohe "gesichtslos" zu werden, die CSU habe den festen Willen, eine grundsätzliche Debatte anzustoßen, nämlich "was München für eine Stadt sein will". Welche Werte es zu erhalten gelte, und welche wieder zurückzugewinnen. Die Grünen und die SPD bezeichnet die CSU als ideologische Spalter, die die Menschen gegeneinander ausspielten, insbesondere Radfahrer und Autofahrer. Sie selbst wolle für den alten Grundsatz "Leben und leben lassen" stehen.

Bei der Präsentation zeichnete sich ab, dass die CSU ihren Slogan historisch und thematisch sehr weit zu dehnen beabsichtigt. Geht es um die Frage, wie München mehr und berühmtere Künstler anziehen soll, dann geht es in eine Epoche zurück, in der Freddy Mercury und Erni Singerl München gleichzeitig lebenswert fanden. Innovation und Zukunftsgeist soll wieder so ausgeprägt sein wie zur Zeit, als München das Olympiastadion und BMW das Vier-Zylinder-Hochhaus baute. Das Zurück zum entspannten Nahverkehr soll der Neubau der zweiten Stammstrecke bringen.

Zwölf Themengebiete hat die CSU definiert, in denen sie ihr Vorwärts in die Vergangenheit umsetzen will. Daran arbeitet ein Kompetenzteam, das mit CSU-Prominenz besetzt ist. Frank selbst betreut den Bereich Familie und Kinder, was angesichts einer berufstätigen, selbstbewussten und auch sehr ehrgeizigen Mutter nicht sehr viel Retro in diesem Bereich erwarten lässt. Pretzl verantwortet das Thema Mobilität, Stadträtin Dorothea Wiepcke und der frühere Bürgermeister Josef Schmid zum Beispiel Planen und Bauen. Die CSU weiß, dass sie den Zuzug und das Wachstum nicht stoppen kann, doch sie will es so verträglich wie möglich gestalten, "für die, die da wohnen und die, die kommen".

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Quelle:
SZ vom 10.10.2019
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