Süddeutsche Zeitung

Giesing:Warum ein Friseur kostenlos Haare schneidet

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Ibrahim Othman Braim, kurz "Ibo", hat einen Salon an der Tegernseer Landstraße. Erst bot er Geflüchteten seine Dienste an, nun will er bedürftigen älteren Menschen helfen.

Von Sonja Niesmann

Das Plakat mit den zwei strahlend lächelnden Silver Agern nimmt das halbe Schaufenster des Ladens ein. Es erinnert an Werbung für die kluge Altersvorsorge, für den rechtzeitigen und natürlich lukrativen Verkauf der eigenen Immobilie, um den Lebensabend entspannt an exotischen Stränden oder auf dem Golfplatz zu genießen. Unter den Fotos aber steht in großen Lettern: "Viele Rentnerinnen und Rentner sind von Armut betroffen. Eine Generation, die ihr Leben lang hart gearbeitet hat."

Solchen Rentnerinnen und Rentnern also, die jeden Euro umdrehen müssen, wäscht und schneidet Ibrahim Othman Braim, kurz "Ibo", in seinem Laden an der Tegernseer Landstraße 125 zwei Monate lang, noch bis Ende Februar, kostenlos die Haare. Jeden Montag, Dienstag und Mittwoch. Frauen sparen damit 28, Männer 24 Euro.

Er hat das im vergangenen Jahr, im März, April, Mai, bereits für ukrainische Flüchtlinge angeboten. Mit großem Zulauf, wie der 42-Jährige versichert, bis zu 20 Menschen hätten manchmal in der Warteschlange gestanden, nachdem es sich erst einmal herumgesprochen hatte. Allein haben er und seine drei Angestellten das gar nicht bewältigen können, sagt er, andere Friseurinnen und Friseure, teils schon in Rente, haben ihm geholfen, haben ohne Verdienst mitgearbeitet. Möglicherweise hat er mit dieser Unterstützung auch kalkuliert. Denn auch jetzt wieder greifen "ehrenamtliche Helfer", wie Ibo sie nennt, zu Schere und Shampoo. Und manche seiner Kunden, die altersmäßig auf die Gratis-Behandlung pochen könnten, sagen, so erzählt er: "Phänomenal, Ibo, dass du das machst. Aber ich möchte bezahlen, ich möchte dich unterstützen."

"Mich macht das glücklich, mir macht das Freude."

Eine gewiefte PR-Strategie von einem, der sich aus den unzähligen Friseurläden und -lädchen dieser Stadt herausheben will? Ibo, blütenweißes Hemd, den Bart, die kurzen Löckchen und die Augenbrauen akkurat getrimmt, weist das mit großer Vehemenz und fuchtelnden Händen von sich, wählt ein blumiges Bild fürs Motiv zu helfen: "Ich kann doch nicht mehr essen als eine Portion. Oder?" Und: "Mich macht das glücklich, mir macht das Freude." Er wolle etwas zurückgeben, sagt er. Er, der Flüchtling, der in diesem Land, in dieser Stadt nach langen Umwegen eine neue Heimat gefunden hat.

An diesem Freitagvormittag ist es recht ruhig in dem Salon in Giesing, das blitzblanke Ambiente nur leicht getrübt von nasenreizendem Essiggeruch - die Kaffeemaschine wird gerade entkalkt. Ibrahim Othman Braim hat Zeit, an einem winzigen Tischchen in der hintersten Ecke seine Geschichte zu erzählen. Die er so erzählt: Am 18. August 2000, mit 19 Jahren, hat er, der aus einer kurdischen Familie stammt, die nordirakische Stadt Sulaimaniya verlassen. Über die Türkei, Griechenland, Italien kam er am 23. September 2001 nach Bayern, in eine Unterkunft in Niederbayern und stellte einen Antrag auf Asyl. Auf den Tag genau hat er jedes einzelne Datum parat.

Ibo kann sich in sieben Sprachen verständigen.

Sein Antrag wurde abgelehnt, Ibo flüchtete nach Frankreich, weiter nach England. Er wurde abgeschoben, kam wieder nach Deutschland. Machte sich erneut davon, nach Frankreich, nach England - und musste dort drei Monate ins Gefängnis. In fünf Ländern habe er sich um Asyl bemüht, sagt er, überall erfolglos. Wieder war er zurück in Deutschland - und diesmal rettete ihn die Heirat mit einer Deutschen vor der Abschiebung. Er bekam endlich "die Papiere", wie er sagt.

Ein positiver Aspekt an all dem: Ibo kann sich in sieben Sprachen verständigen, einigermaßen jedenfalls. Kurdisch und Deutsch. Englisch und Persisch, das er in England gelernt hat. Arabisch, das er im deutschen Flüchtlingslager gelernt hat. Türkisch, das er auf seiner Flucht aus dem Irak gelernt hat, als er eine Weile lang in der Türkei festhing. Und Russisch, weil er fünf Jahre lang eine Freundin aus Odessa hatte und deren Muttersprache lernen wollte.

Salon Odessa, so hieß auch sein erster Laden, als er sich 2007 in München selbständig gemacht hat, auch in der Tegernseer Landstraße, ein paar Blocks weiter stadteinwärts als heute. Er hatte damals 15 Zettel mit möglichen Namen für seinen Friseursalon in eine Schüssel geworden: Rom, Athen, Paris, Istanbul... Stationen seines Weges. Und fischte dann einen Zettel heraus.

Wenn man es in München schaffen will, erklärt Ibo, brauche man drei Eigenschaften: Sauberkeit, Fleiß, und "schlau sein". Und einen Glauben. Ob das nun der Glaube an eine Religion, einen Propheten, an sich selbst oder an "einen Stein oder an Holz" sei - egal, findet er: "Glaube gibt dir Hoffnung und Schutz."

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