Süddeutsche Zeitung

Filmpreis:"Diese Laudatio ist das schwierigste, was es gibt"

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Gisela Schneeberger erhält den Filmpreis der Stadt. Bei der Verleihung ringt selbst Gerhard Polt um die richtigen Lobesvokabeln - sagt er zumindest.

Von Philipp Crone

Er muss nichts sagen, damit alle lachen. Gerhart Polt steht am Montagabend im Kino des Filmmuseums hinter dem Rednerpult, die Mikrofone ausgerichtet, das Manuskript aufgefaltet, mehrfach geräuspert hat er sich auch schon. Aber er fängt noch nicht an. Die 200 Gäste des Filmpreises der Stadt München sitzen im vollen Kinosaal, nur in der vierten Reihe steht eine zierliche Person, dreht Polt den Rücken zu und schaut nach hinten zum Ausgang. Sie gestikuliert, "ein Glas Wasser!", bemerkt die Stille, dreht sich nach vorne, schaut so streng, wie man das von ihren Rollen kennt, dann muss sie lachen. Er auch.

Gisela Schneeberger setzt sich und sagt: "Ich wollt doch nur a Glaserl Wasser für dich." Die beiden wirken, als wären sie seit Jahrzehnten ein Paar. Sind sie auf eine Art auch, zumindest in vielen Film-Sequenzen. Sie kennen sich sehr gut, und deshalb sagt Polt auch vor der Verleihung einen für einen Bühnen-Profi wie ihn bemerkenswerten Satz: "Diese Laudatio ist das Schwierigste, was es gibt." Er meint: ohne etwas Privates zu erzählen. Stimmt allerdings nicht ganz. Das Schwierigste ist es, als Preisträger nach einer Laudatio von Gerhart Polt zu bestehen. Aber wenn, dann kann das Gisela Schneeberger.

Zunächst kommen jedoch für die 71-jährige Preisträgerin die einfachen Übungen, etwa die, schwärmerische Huldigungen entgegenzunehmen. Bürgermeisterin Christine Strobl, Abgesandte der Stadt, nennt die Schauspielerin "großartig", am Wochenende habe sie sich extra zur Vorbereitung Schneebergers aktuellen Film "Eine ganz heiße Nummer 2.0" angesehen, "da hat man auch als Sozi was zu lachen".

An diesem Abend entsteht schnell eine humorig ausgelassene Grundstimmung. Wahrscheinlich ist das diese akademisch alberne Aura, die von den beiden mit der Glas-Wasser-Nummer ausgeht. Schauspiel-Kollegin Michaela May spricht von der Preisträgerin in einer Bewunderung, bis ihr die Adjektive ausgehen. "Raffiniert, erotisch, mit Charme, hübsch, erfrischend, präzise." Jede Silbe, ob auch nur ein "Geh?" oder "Ah, na!" sei so ausdrucksstark. Sie zitiert Schneeberger in ihrer Rolle als Geliebte des Monaco Franze, der ihr zum Abschied ein Geschenk überreicht: "A Seife?" Die Seife so lang gezogen, dass die Wut im Unterton nur so trieft.

Tief über sein Skript gebeugt, beginnt nach Strobl dann Gerhard Polt zu sprechen. Es ist eine wissenschaftliche Abhandlung des Phänomens Schneeberger aus Sicht eines Langzeitbegleiters. Schneeberger hat ihn ja entdeckt, was sie schon oft erzählt hat. Ihr früherer Mann und Polt waren Hinterhof-Nachbarn und der Polt habe am Tisch immer "so lustig erzählt", bis ihn die damals schon beim Theater und Schauspiel etablierte Schneeberger für einen kleinen Auftritt vorgeschlagen habe.

Polt beschreibt die Schauspielerin Schneeberger als "Empfindungskünstlerin" mit einmaligem Wahrnehmungsvermögen. Nämlich dem "des scheinbar Unwesentlichen". Er schildert dafür eine ihrer Rollen, die als Fahrgast einer Trambahn. Wie sie erst ruhig, dann immer angestrengter ihre Tasche durchwühlt, Dinge herausnimmt, auf der Suche, langsam unter Zeitdruck bis zur nächsten Haltestelle, und am Ende ein Bonbon findet, das bei Polt natürlich "a Guatl" heißt, es auspackt und genüsslich lutscht. Wie Schneeberger solche scheinbaren Unwesentlichkeiten spiele, das zeichne sie aus. Die Komik im Alltäglichen. Ihre "Antenne für das Unauffällige." Kaum jemand könne diese erspürten Erkenntnisse darstellen wie sie.

Der 77-Jährige meint Schneeberger, klar, aber er spricht letztlich auch von sich selbst. Auch er ist Meister im Zeigen der Komik bis Tragik des Normalen. "A guade Haut darzustellen, was an Menschenkenntnis muss man mitbringen?" Sie sei in der Lage, "eine Phariseuse mit dem Charme eines Knäckebrots so zu spielen, dass man die Luft anhält vor Begeisterung", weil man von der dargebotenen Belanglosigkeit so gefangen sei. Naive Menschen zu illustrieren sei besonders schwer, aber ihr Spezialgebiet. "Gisela macht uns Typen bekannt, von denen wir dachten, wir kennen sie. Bis wir erkennen, dass das Bekannte das Fremde ist."

Schneeberger schaut zu Polt, sie lächelt, Rücken gerade, jederzeit zur Gegenrede bereit, streng und erhaben. Dann ist sie dran und erklärt zunächst den Begriff der "intellektuellen Knabbernuss", den Polt ohne Einführung verwendet hat. Sie tadelt ihn also ganz beiläufig. So jemand sitze in jeder Kulturveranstaltung und nicke zu allem weise. Dann legt Schneeberger los. Dass sie den Preis nicht kannte und blöderweise die 10 000 Euro Preisgeld schon ausgegeben habe, es sei nämlich "dumm, dass man das Geld schon Monate vorher" bekomme. Applaus, Lachen. Sie erzählt von den unterschiedlichen Erklärungsmodellen, warum sie Schauspielerin wurde, eines sei, "weil ich als Kind im Fasching nie Prinzessin sein durfte, ich musste Zwerg sein".

Gisela Schneeberger erzählt nicht von ihrer Arbeit mit Polt wie etwa in "Man spricht deutsh", von ihren Preisen wie dem Grimme-Preis schon gar nicht. Sie erzählt von ihrem Weg zum Schauspiel, und das mit derart packender Selbstironie, dass das Publikum vor Sympathie dahinschmilzt. Sie erzählt von ihrer "Chuzpe, über die ich oft selbst staune", oder wie sie in der Schule von einer Mädchen-Gang wegen ihres fehlenden Dialekts verhauen wurde ("am nächsten Tag konnte ich Bairisch") und mutmaßt gespielt boshaft, man habe sie doch nur ausgezeichnet, um Polt als Laudator zu kriegen. Selbst das darf sie unter Applaus und Lachen sagen. Da hat sie längst wieder alle verführt.

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SZ vom 06.11.2019
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