Süddeutsche Zeitung

Neue Zwischennutzung:Startklar für den "Summer of Love"

Lesezeit: 3 min

Start-ups, Künstler, Drinks und Wein: In die leer stehenden Räume der Gasteig-Gastronomie zieht wieder Leben ein - bis im Herbst die Sanierung des Kulturzentrums beginnt.

Von Laura Kaufmann

Vielleicht ist es ein wenig wahnsinnig, in diesen Zeiten ein neues Lokal zu planen. Besonders eines, dessen Laufzeit auf ein knappes Jahr begrenzt ist. Aber manchmal kann eine Prise Wahnsinn auch vor dem Eingehen bewahren. "Für uns war das allein schon moralisch gut, etwas Neues zu planen. Das hat uns über die Wintermonate gerettet", sagt Gastronomin Sandra Forster. Planen beschäftigt, im Planen kann man aufgehen. Während also ihre Restaurants, Bars und Clubs geschlossen bleiben müssen - das Blitz, das Kismet, das Charlie und das Roeckl -, konnte sie ein neues Konzept entwerfen. Das hilft zu vergessen, dass seit November noch keine Hilfen oder Kurzarbeitergelder für ihre Lokale auf dem Konto gelandet sind.

Der Plan also: Bis zur Sanierung wird sie den Gasteig noch ein wenig aufmischen. Wenn alles gut geht. Schon im März hatten die Betreiber der zum Gasteig gehörenden Gastronomie Insolvenz angemeldet. Das Restaurant Gast und das Bistro Le Copain ließen sich bis zum Auslaufen des Vertrags in einem Jahr nicht mehr wirtschaftlich betreiben, so Geschäftsführer Marc Übelherr. Die Räume allerdings bis zur für Herbst 2021 geplanten Sanierung leer stehen zu lassen, das fand man im Gasteig zu schade. Und so wurde Marco Eisenack gefragt, ob er die Flächen mit seinem Projekt Mucbook Clubhaus zwischennutzen wollen würde. Er wollte.

Mucbook Clubhaus verwandelt Leerstand in vorübergehende Multitaskingflächen für Freischaffende, Künstler und Start-ups; bietet Raum für Debatten und Lesungen, Workshops und Ausstellungen. Noch ein paar Wochen lang läuft das Projekt unter dem Namen Breakout in der ehemaligen Hypovereinsbankfiliale am Hauptbahnhof. Im ehemaligen Gast ist nun seit Dezember Betrieb. Die Kochstationen des Selbstbedienungsrestaurants sind in kleine Gärten verwandelt worden, die Möbel ausgetauscht.

"Optimistic Elephant" heißt der Ort, an dem coronakonform gearbeitet werden kann. 50 Arbeitsplätze auf 600 Quadratmetern, eine leistungsstarke Lüftung. Tagespässe zum Arbeiten gibt es für 15 Euro, Monatspässe ab 150 Euro. Marco Eisenack denkt dabei momentan an "Härtefälle", Familien in kleinen Wohnungen oder Studenten in lauten Wohngemeinschaften, die dringend ein Ausweichquartier brauchen. Bis Ende September läuft der Vertrag mit dem Gasteig, und sobald die Lage es wieder erlaubt, sollen im Optimistic Elephant auch Debatten zum Stadtleben stattfinden, Yogakurse, Workshops und Mindset-Coachings. Und eben Gastronomie. Für die ist Sandra Forster zuständig.

Forster ist vor allem begeistert von der großen Terrasse. Sie plant eine Outdoor-Residenz für ihr Barrestaurant Charlie in Giesing, auf der die Musik, wenn es denn möglich ist, auch mal ein wenig lauter werden darf; das Charlie ist für exquisite Elektromusik bekannt. "Ich gehe davon aus, dass die Gastronomie frühestens im März wieder aufmachen kann", sagt Forster.

Eine Terrasse könnte 2021 auch schon im frischeren Frühjahr funktionieren, meint sie. Abgehärtet vom Coronawinter, ausgehungert ohne Ausgeherlebnisse, da wären die Leute eventuell gerne bereit, mit einer Decke um die Schultern ihre Freunde zu treffen. Wie genau die Terrasse funktionieren wird, wie lange, und wie das Zusammenspiel klappt, wenn auch die Philharmonie wieder ihren Betrieb aufnimmt, das muss noch ausgekartelt werden, sich vielleicht auch im laufenden Betrieb zeigen und angepasst werden. Sandra Forster ist trotzdem euphorisch, wenn sie über ihr neues Projekt redet. Sie sieht einen "Summer of Love" kommen. Einen Sommer der Liebe, in dem die Münchner hoffentlich das Gröbste der Epidemie überstanden haben und ihr Wiedersehen und das Leben an sich feiern. Dafür will sie eine Plattform bieten.

Für ihr Barrestaurant Charlie sieht sie erst wieder im Herbst Chancen, profitabel zu öffnen. Der Restaurant-Part soll dann mit neuem Konzept von Partnern betrieben werden. "Ich mag die vietnamesische Küche immer noch sehr gerne, aber wir machen das seit zehn Jahren. Es hat Spaß gemacht, aber ich bin jetzt ein bisschen durch damit und es ist auch brutal viel nachkommen." Was genau die Hotpots und Banh Mis ersetzen wird, ist noch nicht spruchreif.

In der Sommerresidenz des Charlie wird auf jeden Fall der ehemalige Pizzaofen des Gast eine Rolle spielen, "es wäre schade, den nicht zu nutzen", aber es muss nicht unbedingt Pizza sein, die darin gebacken wird. Insgesamt wird Forster viel vorhandenes Equipment nutzen, "wir haben zum Beispiel noch ein Soundsystem aus dem Kong", einer ehemaligen Bar von ihr beim Hauptbahnhof. Riesige Investitionen lohnen sich bei einer Zwischennutzung nicht. Aus Forsters zahlreichen vergangenen und bestehenden Lokalen ist der Münchner aber Stilsicherheit gewohnt, sie wird etwas draus machen.

"Es wird keine große Karte geben, und kein Fine Dining", sagt die Gastronomin. "Aber es wird schon ein wenig hochwertiger: Man wird bedient, es wird tolle Drinks und Weine geben." So will Forster auch den Spagat zwischen dem Hipsterpublikum, das der Name Charlie anzieht, und den Philharmoniegästen schaffen. Letztere sollen auf ihrer Terrasse Gelegenheit haben, ein Gläschen Champagner vor dem Konzert zu trinken oder danach noch ein lustiges Münchner Getränk wie einen Kir Royal zu kippen.

Natürlich hat Forster auch Gelegenheit, den Raum innen zu bespielen. Sie sieht das gastronomische Geschehen aber in diesem Jahr zumindest vorerst noch hauptsächlich draußen. "Wir haben schon gestrichen, werkeln herum und bereiten so viel vor, wie eben geht", sagt sie. "Wir wollen anfangen können, sobald wir anfangen können." Sobald die Gastronomie wieder darf. Im Übrigen zahlt Marco Eisenack nur Nebenkosten, Sandra Forster eine Umsatzpacht. Was das Risiko, selbst wenn die Pandemie länger als gedacht wüten wird, überschaubar hält. Die Prise Wahnsinn, die es für den Optimistic Elephant und Charlies Sommerresidenz braucht, ist also nur eine ganz kleine.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2021
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