Süddeutsche Zeitung

Corona-Lockerungen:Kampfbereit ins Gartenjahr

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Über das Wesen der Gärtnerei machen sich Städter oft Illusionen. Tatsächlich ist der Garten die vorderste Front im Konflikt zwischen Mensch und Natur.

Glosse von Wolfgang Görl

Keine Frage, das wichtigste Ereignis der Woche war die Wiedereröffnung der Friseursalons. Als hätte ein Engel München geküsst, ging schon mit den ersten abgeschnittenen Locken ein Ruck durch die in Lockdown-Verzweiflung dahinsiechende Stadt. Selbstverständlich konnte nicht jeder gleich am ersten Tag dran sein, weshalb jetzt einige Münchner ihren Impftermin zum Tausch gegen einen Friseurtermin anbieten. Bei Sotheby's soll die Versteigerung eines März-Termins bei einem Münchner Promi-Figaro einen siebenstelligen Betrag erbracht haben. Den Zuschlag, so heißt es, erhielt ein Großinvestor aus einem dubiosen Nachbarland.

Bei all dem Wirbel ums Haar ist ein anderes Jahrhundertereignis aus dem Blickfeld geraten. Auch die Gartencenter haben wieder geöffnet, obwohl dort nur in Ausnahmefällen körpernahe Dienstleistungen vollbracht werden. Schon am ersten Tag war zu beobachten, wie sich die Spreu vom Weizen trennte. Während ahnungslose Hobbygärtner und -gärtnerinnen zu den Rosenstöcken oder den Salatpflanzen eilten, steuerten Profis gleich das Wesentliche an: die Abteilung für biologische und chemische Kampfstoffe. Hier findet der Naturfreund alles, was ein zauberhafter Garten benötigt: Schneckenkorn, Wühlmausgas, Ameisengift, Insektenvernichter, Pestizide, Unkrautspritzen, Universalgiftsprüher, Nagetierfallen und andere hortensische Kriegswaffen.

Um die Selbstauslöschung zu vermeiden, trägt der erfahrene Gärtner einen Ganzkörper-Schutzanzug, wie ihn Soldaten bei Giftgasangriffen anlegen; generell sollte niemand einen fachmännisch betreuten Garten ohne Atemschutzmaske und Schutzoverall betreten. Die entsprechende Ausrüstung hat jeder gute Gartenmarkt im Sortiment. Wer unkonventionelle Wege nicht scheut, könnte auch beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr anfragen.

Natürlich kann sich ein normaler Münchner nie im Leben ein Haus mit Garten leisten, und darüber sollte er froh sein, denn über das Wesen der Gärtnerei machen sich Städter oft Illusionen. Tatsächlich ist der Garten die vorderste Front im Kampf zwischen Mensch und Natur, und die vornehmste Aufgabe eines Gärtners ist zu verhindern, dass die Natur macht, was sie will. Getreu dem Sprichwort "Wenn der Gärtner schläft, pflanzt der Teufel Unkraut", achtet der Gartenfreund darauf, dass kein noch so kleines Pflänzchen unbefugt Wurzeln schlägt, von der unkontrollierten Einwanderung fressgierigen Ungeziefers ganz zu schweigen.

Neben der Jahresproduktion einer Chemiefabrik besitzt ein richtiger Gärtner noch diverse technische Geräte, darunter Kettensägen, Laubsauger, Turbohäcksler und Rasentraktor, die alle nicht leiser sein dürfen als ein Düsenjäger und die sich schon ab vier Quadratmetern Gartenfläche lohnen. Wer noch mehr für die Umwelt tun will, legt einen pflanzenlosen Schottergarten an. Ohne Dünger und Pestizide bleibt er zu jeder Jahreszeit unübertrefflich gepflegt.

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Quelle:
SZ vom 06.03.2021
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