Süddeutsche Zeitung

Fußball-EM in München:Public Verwirrung

Lesezeit: 4 min

Normalerweise freuen sich Gastronomen über die Fußball-EM, doch dieses Jahr bereitet sie Kopfzerbrechen. Viele Wirte fragen sich: Sollen sie die Spiele überhaupt zeigen? Und was, wenn Deutschland ein Tor schießt?

Von Franz Kotteder und David Wünschel

Normalerweise gilt: Wenn Wirte Fußball zeigen, machen sie mehr Umsatz. Doch bei der anstehenden EM ist die Rechnung komplizierter. Zum einen dürfen Biergärten und Restaurants nur einen Bruchteil der üblichen Gäste bewirten. Zum anderen machen sich manche Wirte Sorgen, dass die ausgelassenen Fans die Corona-Regeln brechen könnten. Und dann ist da noch die Frage, wie sich die Inzidenz in München weiter entwickelt.

"Viele Wirte haben sich noch nicht entschieden, ob sie dieses Jahr wirklich Fußball zeigen wollen", sagt Annette Baronikians, Sprecherin der Münchner Innenstadtwirte. "Die Unsicherheiten sind einfach zu groß." Ohne Sicherheitspersonal lasse sich kaum garantieren, dass bei den Spielen die Abstandsregeln eingehalten werden, glaubt Baronikians. Wenn Deutschland ein Tor schießt - wer will dann verhindern, dass sich alle in die Arme fallen?

Christian Lehner vom Park Café am Alten Botanischen Garten hat sich auch deshalb dagegen entschieden, die EM-Spiele zu übertragen. Für ihn ist das ein Novum. Seit er 2006 das Park Café übernahm, hat er bei jedem Fußball-Großereignis ein Public Viewing veranstaltet. Aber wenn man ihn auf die anstehende EM anspricht, ist statt Euphorie eher Ärger zu hören.

Zwar könne er im Biergarten ein paar Fernseher hinstellen und die Spiele übertragen. Aber das sei nicht sein Stil. "Entweder ich mach's gescheit oder ich lasse es", sagt Lehner. "Da kurzfristig etwas hinzurotzen, das ist nicht meins."

"Ich bin ja Gastgeber, kein Schutzpolizist"

Doch es gescheit zu machen - das ist für Lehner in der aktuellen Lage kaum möglich. Bei den vergangenen Europa- und Weltmeisterschaften hat er stets eine riesige Leinwand aufgebaut und zusätzlich - damit jeder eine baumfreie Sicht hat - weitere fünf bis sechs Fernseher aufgestellt. Hinzu kommen die Kosten für GEZ und GEMA. "Bevor ich ein Spiel zeigen kann, bin ich 35 000 Euro los", sagt Lehner. Das wieder reinzuholen, sei mit rund 600 erlaubten Gästen kaum möglich.

Außerdem müsse sich das frisch eingestellte Personal erst einmal richtig einspielen. Und dann sind da noch die Sorgen um Hygiene-Verstöße. Zwar würde Lehner sich wünschen, dass "die Leute den Schiri beschimpfen und Sierra Madre singen". Doch er wisse nicht, was er machen solle, wenn plötzlich eine Zwölfergruppe bei ihm vor der Tür steht, oder sich zwei Zehnergruppen vermischen, sagt Lehner. "Ich bin ja Gastgeber, kein Schutzpolizist."

Lehner ist nicht der einzige Wirt, der so denkt. Auch in anderen Münchner Biergärten herrscht dieses Jahr eine ungewöhnliche Fußball-Flaute. Christian Schottenhamel etwa, Kreisvorsitzender des Gaststättenverbands Dehoga und Wirt von Nockherberg und Menterschwaige, weiß immer noch nicht, wie er den Fußball in Biergarten und Saal bringen soll: "Ich versuche jeden Tag, vom Kreisverwaltungsreferat eine klare Aussage zu bekommen, aber Fehlanzeige."

Mal heiße es, eine Leinwand sei draußen nicht gestattet, nur kleine Fernseher, ein anderes Mal sei Fußball im Saal nicht erlaubt, aber draußen im Biergarten. Ähnliches höre er von den Dehoga-Mitgliedern: "Da herrscht große Verunsicherung, was jetzt überhaupt möglich ist." In einem Newsletter des Verbandes heißt es, Essen und Trinken müssten nach einem Schreiben des Gesundheitsministeriums im Vordergrund stehen, was ohnehin der Sinn einer Gaststätte sei.

Und wenn dort explizit von "einem Fernseher" die Rede sei, "müssen auch Leinwände erlaubt sein, denn sonst fällt uns offen gestanden kein anderes Übertragungsmedium ein - vorausgesetzt, keiner will die Spielzüge auf einer Kreidetafel nachzeichnen".

Auf Anfrage verweisen sowohl das Kreisverwaltungsreferat als auch das bayerische Gesundheitsministerium darauf, dass Public Viewing nur als Hintergrundangebot erlaubt sei.

Ob es sich lohnt? Das hängt von den Nachmittagsspielen ab

In Münchens wohl bekanntester Fußballkneipe war trotzdem von Anfang an klar: "Wenn es irgendwie möglich ist, müssen wir das durchziehen und alle Spiele zeigen", sagt Holger Britzius. Der 45-Jährige ist einer der beiden Inhaber des "Stadions an der Schleißheimer Straße". Das vergangene Jahr sei schwer gewesen, man habe nur dank Spenden überlebt. Jetzt könne man die EM nicht auch noch ausfallen lassen - trotz des wirtschaftlichen Risikos: "Es steht in den Sternen, ob wir mit einem Plus rausgehen."

Denn auch im "Stadion" ist die Anzahl der Besucher begrenzt. Etwa 65 Gäste darf Britzius bewirten; vor der Pandemie kamen oft mehr als doppelt so viele. Jetzt stehen die Tische weit auseinander, und wenn ein Tor fällt, will Britzius darauf achten, dass alle Abstand halten. Das habe selbst beim Champions-League-Sieg der Bayern vergangenes Jahr geklappt, sagt Britzius.

Doch eine richtige EM-Euphorie komme bei diesen Beschränkungen nicht auf. Und ob sich der Aufwand lohnt, hängt Britzius zufolge vor allem davon ab, ob genug Gäste zu den weniger spannenden Nachmittagsspielen kommen.

"Da stehen einfach Bildschirme rum"

Um den finanziellen Ertrag sorgt sich auch Sebastian Kuffler, Wirt des Seehauses im Englischen Garten. Der 45-Jährige überträgt in seinem Biergarten bei gutem Wetter alle frei empfangbaren Spiele, ausdrücklich auch des Umsatzes wegen. "Wenn du das nicht machst, gehen die Leute woanders hin", sagt Kuffler.

Im Gegensatz zu vergangenen Jahren hat er diesmal keine Leinwand organisiert, sondern fünf Fernseher aufgestellt - wohl auch, um dem Veranstaltungscharakter entgegenzuwirken. "Das ist ganz normaler Biergartenbetrieb und da stehen einfach Bildschirme rum", sagt Kuffler. Generell habe er das Gefühl, fast wieder in der Normalität zurück zu sein.

Doch Normalität wird es bei den Public Viewings dieses Jahr nicht geben. Denn zu einer normalen EM gehört nun einmal, im Torrausch sein Bier zu verschütten, sich in den Armen zu liegen und fahnenschwenkend durch die Innenstadt zu ziehen. Und zwar nicht in Kleingruppen, sondern alle gemeinsam. Das wird - hoffentlich - dann bei der nächsten WM wieder möglich sein.

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Quelle:
SZ vom 10.06.2021
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