Süddeutsche Zeitung

Ferienbeginn am Flughafen:Holpriger Start in die Welt

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Zum Ferienbeginn ist auf dem Münchner Flughafen so viel los wie lange nicht. Nach Mallorca hebt der große Airbus ab - und manche Passagiere verpassen wegen der Check-In-Kolonnen sogar ihren Flug.

Reportage von Tom Soyer

Diesmal ist es nur ein herrenloser Koffer, der den Start in den Urlaub für Tausende am Samstagmorgen beinahe noch ausbremst - und am Münchner Flughafen sofort Erinnerungen wach ruft an eine Sicherheitspanne vor zwei Jahren, als ein junger Tourist versehentlich durch einen Notausgang spazierte. Gut 190 Flüge mussten damals gestrichen werden, während die Polizei den Flughafen absuchte. Diesmal also kein Chaos, nur ein einsamer Koffer, dessen Eigentümer sich des Gepäckstücks just besinnt, als der Sicherheitsapparat in Terminal 2 gerade hochgefahren wird. Alles gut also bei diesem Start in die Sommerferien. Für die meisten Urlauber jedenfalls.

Der Samstag ist für den Münchner Flughafen der Spitzentag der ganzen Sommerferien, die nach monatelanger Reisearmut so etwas wie die große Hoffnung der Touristiker und Airport-Manager darstellen. Genauere Zahlen gibt es immer erst zeitverzögert, aber im Juli lag die Flug-Auslastung immerhin schon wieder bei rund 50 Prozent gegenüber Vor-Corona-Zeiten, berichtet Robert Wilhelm, Pressesprecher der Flughafen München GmbH (FMG). 24 000 Starts zu weltweit 175 Zielen sind zwischen 30. Juli und 13. September angemeldet - im Pandemie-Sommer 2020 waren es knapp 20 000 Flüge zu 130 Zielen, und vor der Masken- und Lockdown-Zeit in den bayerischen Sommerferien 2019 lag der Airport noch bei mehr als 53 000 Flügen.

Allein für Samstag sind 561 Flüge angemeldet, der Spitzenwert der gesamten Ferien, in denen die sechs großen Anzeigetafeln im Terminal 2 im Tagesdurchschnitt 517 Flüge anzuzeigen haben. Im Winter 2021 reichte noch eine der sechs Tafeln für alle Flüge des Tages. In der Beliebtheitsskala derzeit vorne: Balearen, überhaupt Spanien, Griechenland, Türkei. Das Geschäft mit Fernreisen nach Asien oder in die USA ist hingegen wegen der strengen Corona-Reisebeschränkungen schwieriger. Wohl deshalb hat die Lufthansa gerade auch ein paar ihrer Langstreckenflugzeuge wie den Jumbo Jet (Boeing 747; von Frankfurt aus) und den Airbus A350 ausnahmsweise im Mallorca-Einsatz. Bedeutet: Mehr Beinfreiheit für den Zwei-Stunden-Hop nach Palma de Mallorca, und fast 300 Plätze statt der gut 200 in den üblichen Maschinen der A320-Familie - und 20 Prozent weniger Kerosinverbrauch, betont Lufthansa-Sprecherin Bettina Rittberger. Der Langstrecken-Luxus Richtung Mallorca hat in München an diesem Samstag Premiere, für die weiteren Ferienwochenenden soll die A350-Crew Mallorca ebenfalls anfliegen.

Hin und her gerissen zwischen Grant und Erheiterung

Das klingt alles nach gutem Start in den Urlaub. Carolin aus Regensburg streckt sich im Sommerkleid am Mittag auf einem kleinen Stück Kunstrasen unterm luftigen Dach zwischen den Terminals aus, lässig zwischen den Koffern ihrer Familie. Wie viele andere Reisende will sie ihren Familiennamen lieber nicht in der Zeitung lesen, nicht dass unliebsame Gäste die Urlaubsabwesenheit missbrauchen könnten. Sie ist hin und her gerissen zwischen Grant und Erheiterung. Zusammen mit ihren beiden Teenagern und ihrem Mann steht sie um 5 Uhr in Regensburg auf, kommt um 7.30 Uhr mit dem Zug im Airport an - und erreicht den Barcelona-Flug mit der Lufthansa um 9 Uhr dennoch nicht. Die Schlangen zu lang im Terminal 2, schier undurchdringlich.

Die ganzen Corona-Formalitäten am Check-In lähmen den Betrieb offenbar ungeahnt. Die drei Familien vor ihnen lassen sie am Ende zwar noch vorbei, aber dann geht der Computer vorübergehend nicht, erzählt Carolin und kommt richtig in Fahrt. "Da waren viele, die ihren Flug verpasst haben", sie stand ja mit ihnen dann am Lufthansa-Serviceschalter in der Reihe. Arg angefressen seien viele gewesen. Sie selbst hat das inzwischen verdaut. "Les' ich mein Buch halt hier statt am Pool", und immerhin seien sie nett bei der Lufthansa gewesen und hätten die Familie auf den zweiten Barcelona-Flug des Tages, um 16.30 Uhr, umgebucht.

Mindestens zwei Stunden vor Abflug am Check-In sein, so lautet derzeit die Lufthansa-Empfehlung. Für Marc und Anja nebst ihren Teenagern Henri und Marie aus Ulm ist die Schlange augenscheinlich kein Problem. Scheint alles gut zu klappen mit der Reise mit Freunden nach Kroatien und Montenegro. Sie loben, dass alles coronabedingt sehr flexibel gebucht werden könne derzeit, räumen aber auch ein, dass die Urlaubsplanung "diesmal nicht so unbeschwert war wie sonst". Immer wieder der Blick auf die Inzidenzwerte. "Aber ich denke, wenn wir erst da unten sind, dann wird es gut", sagt Familienvater Marc, und hofft, dass er dem süddeutschen Starkregen nun für ein Weilchen entflieht.

Das geht im Airport auch noch mit Last-Minute-Buchungen direkt am Reisebüro-Schalter. Etwa bei Atiye Çamyesil-Kurudayana von "Travel FM", allerdings "mit mindestens einem Tag Vorlauf für alle Tests und Unterlagen". Denn Reisen sei ein extrem beratungsintensives Geschäft derzeit, mit ständigem Blick auf die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes. Nach monatelangem Überlebenskampf der Reisebüros hofft Çamyesil-Kurudayana, dass die Kunden diesen Service honorierten. "Im Internet sagt Ihnen keiner, dass Sie sich bei Pauschalreisen auch preiswert gegen Corona versichern können" und bis zu 1500 Euro erstattet bekommen, "wenn sie einen Tag vor der Abreise einen positiven Test haben". Immerhin kommen an diesem Samstag immer wieder Menschen an ihren Schalter. Sie berät "mit Herzblut", sagt sie, und strahlt, weil wieder richtig Leben im Flughafen ist.

"Man gewöhnt sich wieder an den Gedanken, dass die Welt groß ist." So fasst Carlos, der selbst am Flughafen arbeitet, seine Gefühle zusammen. Mit Frau Sandra und Sohn Leonidas ist er heute auf dem Weg zu den Großeltern nach Gran Canaria. "Die Reiselust kommt langsam wieder", sagt er. Die strahlt auch Flo Ragossnig aus, ein Wiener, der gerade eine riesig lange, schwere Tasche durchs Terminal zieht. Was er da transportiert? "Die Oma!" Ragossnig ist ein ziemlich cooler und entspannter Windsurf-Profi und lässt auf dem Weg nach Fuerteventura auch so einen Scherz nicht aus. Surfbretter, Gabelbaum, Segel, Mast, Surfanzüge, und keine Oma, so schaut sein Gepäck aus.

Weil er als Profi gesponsert wird, muss er mit seiner Ausrüstung reisen. "Travel light" sei das, scherzt er weiter. Der Mann hat gute Laune, eindeutig. Wahrscheinlich eine sehr positive Fernwirkung des Seichtwassers und der Wellen von Costa Calma.

Entspannt humorvoll ist auch Familienvater Sven aus Ried in Österreich, allerdings treffen sich bei ihm ziemlich ähnliche Emotionen wie bei Carolin, der ausgebremsten Barcelona-Fliegerin. Los Angeles ist das Ziel von Svens vierköpfiger Familie, und auch er scheitert an diesem Ferienauftakt-Tag im Münchner Flughafen an den Check-In-Kolonnen. "Wir waren richtig früh da", beteuert er, um 8.30 Uhr - für einen Flug um 12.05 Uhr doch recht üppig, könnte man meinen. Dennoch verrinnt die Zeit: Nach langen Versuchen am Selbstbedienungs-Automaten fürs Einchecken frustriert am Ende der Hinweis, er möge sich jetzt bitte doch an den Service-Schalter wenden. Dann bremst die Schlange alle Hoffnung aus. Lufthansa sei "superfreundlich und hilfsbereit" gewesen, den Flieger haben sie trotzdem nicht gekriegt.

Die Söhne trösten sich gerade mit typisch US-amerikanischem Fastfood im Flughafen, die Frau bewacht das Gepäck unter der Kuhglocken-Dekoration der "Sportalm", und nun dürfen sie eben am Sonntag um 12.05 Uhr fliegen. Diesmal wirklich. Die Boarding-Pässe haben sie schon.

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