Sperrung nach Zwischenfall:Spanier verirrt sich - und legt den Münchner Flughafen lahm

  • Ein Spanier geht im Terminal 2 durch einen Notausgang unkontrolliert in den Sicherheitsbereich. Die Polizei sperrt daraufhin weite Teile des Flughafens München.
  • Seit etwa elf Uhr läuft in allen Terminals der Betrieb wieder - nachdem zuvor Abfertigung und Sicherheitskontrollen mehr als drei Stunden lang gestoppt waren.
  • Mindestens 190 Flüge werden gestrichen. Die Passagiere bleiben aber verhältnismäßig gelassen - anders als bei einem ähnlichen Zwischenfall vor einem Jahr.

Von Max Ferstl und Kassian Stroh

Adam Schilling steht neben der Glastür zum Terminal 2 am Münchner Flughafen. Er müsste da jetzt eigentlich durch, drei Wochen in San Francisco sind theoretisch nur noch einen Check-in und elf Flugstunden entfernt. Aber in der Tür hat sich ein Polizist aufgebaut und erklärt Schilling und den anderen Reisewilligen, dass hier erst einmal nichts geht: "Polizeioperation". Es ist Dienstagvormittag, kurz nach zehn Uhr.

Schilling, brauner Künstlerbart, heller Hut, packt seinen Rucksack auf den größeren seiner beiden Koffer und verschränkt die Arme. Gestrandete Reisende geben ja immer ein ziemlich trauriges Bild ab. Aber Schilling sagt: "Ich bin tiefenentspannt. Das bewegt sich komplett außerhalb der eigenen Machtsphäre."

Wohl wahr, da kann er nichts tun. Das Terminal 2 von Deutschlands zweitgrößtem Flughafen ist mehr als drei Stunden lang komplett gesperrt, dazu Teile des Terminals 1. Sie werden von der Polizei durchsucht. Tausende Passagiere müssen warten, am Ende werden mindestens 190 Flüge gestrichen, viele verspäten sich. Und das alles wegen eines kleinen Zwischenfalls, wegen eines kurzen Irrwegs, der große Auswirkungen hat, weil er sich im Sicherheitsbereich des Münchner Flughafens abspielt. Dort gehen die Behörden keine Kompromisse ein.

Ausgelöst hat das alles ein junger Spanier, wie die Bundespolizei mitteilt. Er war in der Früh aus Bangkok gelandet und wollte weiter nach Madrid fliegen. Da die Kontrollen dort nicht die Sicherheitsstandards der EU erfüllen, kommen Passagiere aus Bangkok in einem speziellen Bereich des Terminals 2 an. Sie müssen dann noch einmal durch eine Kontrolle, um in den Sicherheitsbereich gelangen zu können. Auf dem Weg dorthin aber ging der Spanier durch einen Notausgang, der sich per Knopfdruck öffnen lässt - ein Weg mit fatalen Folgen.

Denn so gelangte er gegen 7.30 Uhr unkontrolliert in den Sicherheitsbereich. Das wurde der Polizei gemeldet, die zunächst die betroffene Ebene 5 des Terminals 2 sperren und dann auch räumen ließ, um nach verdächtigen Gegenständen zu suchen - wobei sie aber nichts entdeckte. Den Spanier machte sie "relativ schnell" ausfindig, wie ein Sprecher sagte. Gegen ihn wird nun wegen des Missbrauchs von Notrufanlagen und eines möglichen Verstoßes gegen das Luftfahrtgesetz ermittelt.

Der Mann habe angegeben, dass er "keine böse Absicht" gehabt habe, sagte der Sprecher. Das sei plausibel. Trotzdem müsse man in einem solchen Fall alle möglicherweise betroffenen Bereiche durchsuchen. So stoppte die Polizei die Sicherheitskontrollen und die Abfertigung im Terminal 2 bald komplett. Es wurde geräumt. Das gleiche galt auch für die Bereiche B und C des Terminals 1. Sie sind mit einem Shuttle-Bus direkt mit dem Terminal 2 verbunden, liegen also sicherheitstechnisch in einer Zone. Und auch wenn sich später herausstellte, dass der Spanier nicht dort war - theoretisch hätte er ohne weitere Kontrollen dorthin gelangen können.

Deshalb räumte die Bundespolizei auch diese Bereiche: Alle Passagiere mussten den Sicherheitsbereich verlassen - auch wenn sie schon in einem der Flieger saßen, die an den Fingern standen. Als die Polizei den Bereich wieder freigab, mussten die Passagiere erneut durch die Sicherheitskontrolle. Am Dienstag dauerte die Sperrung mehr als drei Stunden: Gegen 10.45 Uhr wurde der Betrieb im Terminal 1 wiederaufgenommen, knapp eine halbe Stunde später auch im Terminal 2.

Zu der Zeit hat sich vor dem Eingang eine große Traube aus Menschen gebildet, die sich auf ihre Koffer stützen. Allgemeine Ratlosigkeit. Was vermutlich auch daran liegt, dass die Polizisten in den Türen die einzigen Informationsquellen sind. Der Beamte vor Schilling sagt: "Ich hoffe, ich weiß auch bald mehr." Keine Durchsage über Lautsprecher, keine Antworten auf die am häufigsten gestellte Frage: Was ist da los? Viele Passagiere rufen im Reisebüro oder bei den Fluglinien an, die Antworten sind offenbar beruhigend: Soll nicht so schlimm sein, versichert man sich gegenseitig. Geht bald weiter.

Gleichwohl sind die Auswirkungen des Vorfalls groß: Bis elf Uhr werden laut Flughafen etwa 50 Verbindungen gestrichen, weitere 140 Flüge werden im Laufe des Tages mindestens noch dazukommen - hauptsächlich innerdeutsche und innereuropäische Flüge der Lufthansa, die zusammen mit ihren Partner-Airlines das Terminal 2 nutzt. Mehr als 25 000 Passagiere dürften davon betroffen sein.

Sie werden laut Lufthansa so weit möglich auf andere Flieger umgebucht, innerhalb Deutschlands dürfen sie mit ihren Ticket auch die Bahn nehmen. Und wer nicht mehr weiterkommt an diesem Tag, bekomme ein Hotelzimmer: Etwa 1000 habe man am Dienstag kurzfristig akquiriert, so die Lufthansa. Wie viele Flüge sich insgesamt verspäteten, darüber gab es zunächst keine Informationen. An diesem Dienstag rechnete der Flughafen ursprünglich mit etwa 1200 Starts und Landungen sowie mit 120 000 Passagieren - es sind schließlich Sommerferien.

Da werden bei manchen Passagieren in der Traube vor dem Terminal 2 üble Erinnerungen wach: an den ersten Samstag der Sommerferien im vergangenen Jahr. Damals ging eine Frau wegen eines Fehlers des Sicherheitspersonals unkontrolliert in den Abflugbereich, auch damals wurde das Terminal 2 über viele Stunden gesperrt, viele Tausend Menschen strandeten am Flughafen in brütender Hitze, kamen teils erst am nächsten Tag weiter, wenn überhaupt. Mehr als 300 Flugverbindungen wurden damals gestrichen.

Dass die Folgen an diesem Dienstag nicht ganz so schlimm waren, zeichnete sich schon bald ab. Trotzdem reagierte der Flughafen, er hat ein paar Lehren aus dem Hitzechaos des vergangenen Jahres gezogen: Er ließ Wasser verteilen, die Klimaanlagen auf höchster Stufe laufen und von draußen keine weiteren Personen mehr in den öffentlichen Bereich des Terminals 2. Zu viele Leute dort erhöhen das Risiko von Unruhen, und hinter den Glasfassaden wird es bei Sonnenschein sehr schnell sehr heiß.

Warm wird es allmählich auch den Menschen vor dem Terminal, die noch immer nicht wissen, warum sie warten müssen, obwohl es im Netz doch heißt, der Betrieb laufe wieder. Es inzwischen Mittag, die Sonne kriecht hinter dem Gebäude hervor. Wo vorher Schatten war, steht jetzt die Luft. "Langsam wird es zäh", sagt Adam Schilling und beugt den vom Herumstehen steifen Rücken. "Schon nervig, dass man überhaupt keine Informationen bekommt."

Die wichtigste kommt um 12.37 Uhr: Die Tür ist frei, der Polizist tritt beiseite. Und die Passagiere schieben sich und die Koffer ins Innere. Auch Schilling schnappt sich sein Gepäck: "Es geht los." Gegen halb vier hebt sein Flieger ab, mit dreieinhalb Stunden Verspätung. Aber immerhin: Er fliegt.

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