Süddeutsche Zeitung

Münchner Film-Student:"Armut wird hier ausgeklammert, man schaut über sie hinweg"

Lesezeit: 4 min

Bernhard Wohlfahrter von der Münchner Filmhochschule hat einen Spielfilm über einen Flaschensammler an der Isar gedreht. Mit "Glückstag" reflektiert der Student auch sein eigenes, privilegiertes Leben.

Von Lea Mohr, München

Ein älterer Mann, graues, kinnlanges Haar, blaue Hose, gestreiftes Hemd, läuft den Isarstrand entlang. Er zieht einen merklich schweren Trolli hinter sich her, schleppt eine große Tasche auf der Schulter. Es ist heiß. Um ihn herum: Menschen, die die Sonne genießen oder sich im Wasser abkühlen. Immer wieder greift er zum Boden, sammelt achtlos weggeworfene Flaschen ein.

Für die Münchner um ihn herum sind sie Müll, für den Sammler ein "Schatz". Etwas, das ihm helfen wird, in dieser teuren Stadt über die Runden zu kommen. Der Mann ist Gerd, Protagonist in Bernhard Wohlfahrters Film "Glückstag", den die Zuschauer durch München begleiten. Filmemacher Wohlfahrter war dabei, wie Gerd sich seinen Weg durch die Straßen und Isarwege bahnt.

Obdachlosigkeit, Altersarmut, leben am Existenzminimum. Auch das ist München, die Stadt der Reichen und Schönen. Darauf hinzuweisen, ist eines der Anliegen des Regisseurs und Studenten Bernhard Wohlfahrter. Der 25-Jährige studiert an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Sein Spielfilm "Glückstag" erzählt vom 65-jährigen Gerd, den seine kleine Rente zum Flaschensammeln zwingt. Ein Mann, der sich für eine Acht-Cent-Pfandflasche aus Glas in der Hitze nach unten beugt. Und von einer Stadt, die vergessen hat, wie privilegiert sie ist. Warum ist dem Regisseur dieses Thema ein Anliegen?

Wenn Bernhard, oder Berni, wie ihn seine Freunde nennen, von seinem Film erzählt, sieht man kaum sein Gesicht, so viel gestikuliert er. Die an Ben Becker erinnernde Stimme scheppert an diesem sonnigen Augusttag durch seine gesamte in Schwabing befindliche Wohnung. Die blonden Haare sind zu einem Seitenscheitel gelegt, trotzdem stehen überall Strähnen in die Luft. Etwas mondän sitzt er da. Beine überschlagen, den einen Arm auf dem anderen abgestützt.

Dass der Filmemacher erst 25 Jahre alt ist, bemerkt man erst, als er während des Gesprächs plötzlich an seinen Schreibtisch läuft, um einen Zettel zu holen, auf dem er sich Antworten zurecht gelegt hat. "Ich bin aufgeregt", sagt er. Es sei ihm wichtig, die Botschaft seines "Herzensprojekts" korrekt rüberzubringen.

"Ich bin mir sehr bewusst darüber, wie privilegiert ich bin."

Dass er einmal Regisseur werden wird, wusste der aus dem Steirischen Ennstal stammende Filmemacher schon als Kind. Seine Mutter habe ihn und seine Geschwister bei Familienausflügen häufig gefilmt. "Mir ist dabei immer aufgefallen, dass man das noch besser machen könnte. So, wie ich es vom Fernsehen oder Kino kannte", erzählt er und lacht. Beim Spielen mit seinem Bruder hätten beide immer ein Lied singen müssen, um Anfang und Ende einzuleiten. "Bei mir musste alles in dramaturgische Formen gebracht werden", sagt er.

Nach dem Abitur bewarb er sich an zahlreichen Filmhochschulen. "Ich dachte, mir stehen alle Türen offen, die warten auf mich", sagt er. "Das haben sie aber nicht getan, ich wurde sofort abgelehnt." Bevor er sich 2019 nochmals bewarb und an der Hochschule für Fernsehen und Film in München genommen wurde, sammelte er praktische Erfahrung. Neben Regie-Assistenzen bei Tatort-Produktionen drehte er Dokumentationen oder war 2018 Spielleiter der Öblarner Festspiele in Österreich. Heute studiert er im fünften Semester Spielfilm-Regie.

Anlass für die Filmidee von "Glückstag" war unter anderem eine Entwicklung des 25-Jährigen in den vergangenen zwei Jahren. Früher habe er die Nachrichten relativ ignorant konsumiert, heute sei das nicht mehr möglich. Er hat sich verändert, oder die Umwelt hat ihn verändert. "Ich bin mir sehr bewusst darüber, wie privilegiert ich bin. Ich sitze hier in meiner schönen Wohnung in München, klage darüber, dass es heute heiß ist oder dass die U-Bahn ausfällt, während ein paar hundert Kilometer von mir Krieg und unendliches Leid herrscht", sagt Bernhard ernst.

Der Kontrast zwischen seinem Alltag und dem Weltgeschehen lasse ihn nicht mehr los. Und besonders in München habe er häufig das Gefühl, dass man sich durch die Schönheit der Stadt und den vermeintlich überall bestehenden Wohlstand, in einen "weltvergessenen Entspannungszustand" schaukeln könne.

"Armut wird hier ausgeklammert, man schaut über sie hinweg."

Auf die Figur eines Flaschensammlers sei seine Freundin gekommen, erzählt Bernhard. "München und sein Reichtum, sein Schick und seine Eleganz. Ich habe eine Figur gesucht, die uns durch diese Welt führen kann und das deutlich macht", sagt der 25-Jährige. Menschen wie Gerd seien Teil der Stadt, passten aber nicht in das Klischee-Bild.

"Armut wird hier ausgeklammert, man schaut über sie hinweg", sagt Bernhard. Im Film sei es ihm deshalb auch wichtig gewesen, das Flaschensammeln zu entstigmatisieren und der Figur eine Würde zu geben. "Gerd ist nicht faul und deshalb in seiner Situation. Die äußeren Umstände haben ihn dazu gezwungen. Ich wollte mit diesem Klischee brechen", sagt er.

An vier Tagen im Juli wurde der Kurzfilm abgedreht. Die 27 beteiligten Darstellerinnen und Darsteller habe sich Bernhard aus Laien, Theater- und Filmschauspielern "zusammengesucht". Dazu gehört auch Claus-Peter Seifert, der die Hauptrolle spielt. "Ich hatte ihn in einem anderen Kurzfilm beim "Flimmern&Rauschen" Festival gesehen und mir gedacht, dass das gut passen könnte", erzählt der Regisseur. Er habe ihm kurz danach eine E-Mail geschrieben, durch die ein Treffen entstand. "Wir hatten sofort eine gemeinsame Sprache. Und ich hatte auch das Gefühl, dass er schnell begriffen hat, wer diese Figur ist und um was es mir in diesem Film geht", sagt er.

Die Filmcrew begleitet den Protagonisten für einen Tag an einen Pfandautomaten, einen Kiosk und an die Isar. Immer wieder hört Gerd Gespräche von Menschen mit, die sich ärgern und beschweren. Über Hafer- anstelle von Mandelmilch beispielsweise. "Genau diese Begegnungen sind es, die auf das überprivilegierte Leben der Menschen hinweisen", sagt Bernhard. "Gerd ist deshalb auch eine Figur, die dem Publikum die Chance bietet, das eigene Verhalten zu reflektieren."

Ebenso wichtig sei es dem Filmemacher allerdings gewesen, Situationen der Solidarität zu zeigen. "Er erfährt auch viel Positives. Zum Beispiel, dass es Menschlichkeit unabhängig der Herkunft oder des Backgrounds geben kann", sagt der 25-Jährige.

Man nimmt Bernhard Wohlfahrter ab, dass er mit seiner Arbeit auch seine eigene privilegierte Lebenssituation reflektiert, dass er sich ihrer würdig erweisen will. Er habe keine Antwort auf die Frage, was er gegen das viele Leid auf der Welt tun könne. "Ich möchte mit dem Film aber erreichen, dass man sich diese Frage stellt und vielleicht für sich individuell eine Antwort findet", sagt er.

Im Gespräch verweist er immer wieder auf das Gedicht "Die Nachgeborenen" von Bertolt Brecht. Es sei eine Inspirationsquelle für den Film gewesen. Um seinem Faible für dramaturgische Formen treu zu bleiben, greift er am Ende nach dem Gedicht und liest vor: "Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!"

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