Süddeutsche Zeitung

Lichtkunst:"Das ist Herzklopfen"

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Ein Künstlerkollektiv verwandelt das Innere einer Kirche in ein Spektakel aus Licht und Musik. Noch bis zum 13. März kann man diesen optischen Rausch in München erleben.

Von Tom Soyer

180 Menschen lümmeln still auf Sitzsäcken oder Stühlen mitten in der evangelischen Stadtkirche Sankt Markus am Altstadtring, die Augen weit aufgerissen. Draußen schneit es, drinnen entsteht gerade die Welt. Aus Finsternis und Urflut wird Licht, dazu erschallen Gustav Mahlers "Urlicht" aus "Des Knaben Wunderhorn" und Joseph Haydns "Schöpfung". Acht gewaltig helle Projektoren zeichnen rundum digitale Lichtkunst auf das Kircheninnere, fahren Stuckornamente mit gleißendem Licht nach oder überlagern schlichte, glatte Säulen so, dass sie barock verzwirbelt aussehen. "Genesis" heißt das Spektakel, und über die Frage, ob das nun mehr Kunst oder Technologie ist, setzt sich das Publikum einmütig hinweg: Die 30 Wellness-Minuten für Augen und Ohren kommen an.

Wie lebendig Architektur werden kann, wenn Künstler sie illuminieren und digital zu einer neuen, gleichsam noch plastischeren Datenskulptur formen, kennen die Münchner mindestens seit vergangenem September, als die Nordwand der Pinakothek der Moderne zum Pixeltanz einlud. Immersive Kunst (eintauchen, abgeleitet vom Lateinischen) nennt sich diese Sparte, weil sie Grenzen verschwimmen lässt zwischen Betrachter und Struktur. In der evangelischen Kirche St. Markus finden Architekturtaucherinnen und -taucher nun neues Futter, sehr intensives, geradezu rauschhaftes.

Das Zürcher Künstlerkollektiv Projektil und die Veranstaltungsplattform Fever zeigen seit Freitag und noch bis zum 13. März die ersten drei Tage der biblischen Schöpfungsgeschichte. Neun Monate Vorarbeit stecken in dem Projekt. Das Kircheninnere wurde gescannt, "wir wollen nicht unsere Kunst aufs Gebäude draufklatschen", erklärt Philippe Trawnika, Grafiker und Produzent, "wir wollen die meditative Energie der Kirche emotional verstärken". Drei Tage und drei Nächte lang seien die Projektoren dafür eingerichtet worden, nun genießt das Publikum das Eintauchen in den optischen Rausch von explodierenden Blüten oder ein kosmisches Firmament, das vom Sitzsack aus wie Cabriokirche wirkt.

"Stellenweise gut, stellenweise kitschig" findet Besucherin Bilge Sungur die Show, lobt aber, wie präzise die Bilder an die Architektur von St. Markus angepasst wurden. Thomas Formann aus München ist schwer beeindruckt, obwohl die Musik "nicht so meins" sei. Bela Beckenbauer und Sabine Krallinger, beide hörgeschädigt, schwelgen: "Das ist Herzklopfen, magisch, schön - Glücksgefühle und viel Energie! Super für die Seele!"

Weitere Informationen im Internet unter www.feverup.com/muenchen

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