Süddeutsche Zeitung

Englischer Garten:890 Bäume für die Wiedervereinigung?

Lesezeit: 3 min

Laut Baureferat wäre das der Preis, um den Mittleren Ring in einem Tunnel unterm Englischen Garten verschwinden zu lassen. Doch die Initiatoren widersprechen den Berechnungen.

Von Andreas Schubert

Als der Stadtrat am 28. Juni 2017 einstimmig für die Wiedervereinigung des Englischen Gartens stimmte, war die Euphorie groß. Petra Lejeune und ihr Mann Hermann Grub, die Initiatoren des Projekts, wurden als kleinste, aber erfolgreichste Bürgerinitiative, die es in München je gab, gelobt, Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprach sich für eine schnelle Realisierung aus, der damalige Vize-Bürgermeister Josef Schmid (CSU) sprach von einem "historischen Tag".

Das Projekt hatte nach Tiefschlägen wegen der unklaren Finanzierung wieder an Fahrt aufgenommen. Als schließlich der Freistaat eine Beteiligung von 35 Millionen für das seinerzeit auf 125 Millionen Euro geschätzte Projekt versprach, schien der Wiedervereinigung nichts mehr im Weg zu stehen. Schließlich hatte der Bund diese als Nationales Projekt des Städtebaus eingestuft und 2,67 Millionen Euro für die Planung zur Verfügung gestellt. Lejeune und Grub waren am Ziel, so schien es. Dann übernahm das Baureferat die weiteren Planungen - und versetzte dem Projekt im Herbst 2021 einen weiteren, sehr schweren Tiefschlag, wenn nicht gar den finalen Knockout.

80 Millionen Euro müsste die Stadt selbst bezahlen

Denn wie im November bekannt wurde, müssten nach Berechnungen des Referats 890 Bäume gefällt werden, die einen Stammumfang von mehr als 80 Zentimeter haben. Das wäre viel wertvolles Grün - zu viel für den Geschmack vieler Stadträte. Außerdem sehen viele die hohen Kosten als heute nicht mehr vertretbar an. Die Stadt müsste 80 Millionen Euro selbst bezahlen.

Zu den Gesamtkosten liegen noch keine aktualisierten Erkenntnisse vor. Aber die Baumproblematik, so befürchten es Lejeune und Grub, könnte die grün-rote Stadtratsmehrheit davon abhalten, das Planfeststellungsverfahren einzuleiten. "Dann ist das Projekt für die nächsten 100 Jahre tot", sagt Grub. Eine Planfeststellung bedeute nicht, dass später automatisch auch gebaut werden müsse. Bis die Baugenehmigung erteilt werden kann, dürften etwa drei Jahre vergehen. Danach ist sie fünf Jahre gültig, bis dahin könnte der Stadt auch das Geld nach Einschätzung der Tunnel-Initiatoren wieder lockerer sitzen.

Das Architektenehepaar, das in den vergangenen vier Jahren planerisch nicht mehr mit dem Projekt zu tun und es, wie Grub sagt, "mit gutem Gefühl" an das Baureferat übergeben hatte, war von den Angaben der Behörde schockiert. Deshalb sind die beiden nun selbst wieder aktiv geworden, haben mit der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung Kontakt aufgenommen und auf eigene Faust eine Baumbilanz erstellt. Teilweise mit Material der Schlösserverwaltung, teilweise durch eigene Zählungen. Und nachdem sie sich die Pläne nochmal genauer angeschaut und mit dem Baumkataster abgeglichen haben, kommen sie zu dem Schluss, dass statt 890 großer Bäume nur 368 gefällt werden müssten. Bei der vom Stadtrat beschlossenen Bauvariante war noch von 550 großen Bäumen die Rede.

"Es ist uns nicht gelungen festzustellen, wo und warum dennoch 550 Bäume fallen sollen"

Kann die Erhebung von Lejeune und Grub stimmen? Sind es wirklich weniger Bäume statt viel mehr? Beide sind zwar Architekten, aber keine Tiefbauexperten und Tunnelplaner, wie sie auch selbst einräumen. Sie wollten auch gar keine Behauptungen aufstellen, sondern lediglich die Frage stellen, wie das Baureferat auf so viele Bäume kommt.

Dabei stützen sie sich auf mehrere Anhaltspunkte. Zum Beispiel diesen: Während die ersten Pläne eine offene Bauweise vorsahen, geht man nun von einer sogenannten Deckelbauweise aus, nach der zunächst Schlitzwände an den Seiten und dann ein Betondeckel erstellt werden, unter dem dann der Tunnel gegraben wird. Laut Gutachten könnte ein Teil des Verkehrs auf dem Deckel fließen.

Bevor dieser Deckel fertig ist, könnte der Verkehr in Richtung Osten zweispurig auf einer Ausweichfahrbahn an der Südseite des Rings geführt werden. Dort ist heute ein Radweg, eine Baumreihe und ein Fußweg, die Breite der Trasse schätzt Grub auf acht bis zwölf Meter, also genug für zwei Spuren. Der Gegenverkehr könnte dann zweispurig vorübergehend auf der alten Fahrbahn fließen. Die Eingriffe in den Englischen Garten wären bei Weitem nicht so groß. "Auch nach intensiver Recherche ist es uns nicht gelungen festzustellen, wo und warum dennoch 550 Bäume fallen sollen", schreiben Lejeune und Grub in einer Stellungnahme.

Für die Tunnel-Initiatoren sind viele Fragen offen, ein Treffen lehnt das Baureferat ab

Auch die Logistikflächen für die Baustelle könnten ihrer Ansicht nach auf freien Flächen des Parks eingerichtet werden, die Baustraße auf dem vorhandenen Straßenprofil zwischen der Baustelle im Norden und der Baustellen-Umfahrung auf der Südseite des Rings. Außerdem kritisieren sie, dass in der Baumbilanz des Baureferats die Fällungen für die Sanierung der Kennedy-Brücke und des Biederstein-Tunnels mit der Baumbilanz ihres Tunnelprojekts vermischt würden. "Es sind viele Fragen offen", sagt Petra Lejeune. Doch ein Gespräch mit dem Ziel, die Baumbilanz differenzierter zu betrachten, lehnte das Baureferat ab und teilte schriftlich mit, dies sei nicht erforderlich.

Petra Lejeune und Hermann Grub wollen weiter für ihr Lebensprojekt kämpfen. Neun Hektar Park würden so wiederhergestellt. Auf der Homepage der Initiatoren ist ein historischer Plan des Englischen Gartens zu sehen, ganz so ursprünglich würde der Park zwar auch mit dem Tunnel nicht mehr. Aber großteils würde die von der autofreundlichen Politik in die Landschaft gerissene Wunde wieder geheilt.

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