Süddeutsche Zeitung

Klinikum rechts der Isar:E-Scooter - die neue Sorge von Unfallchirurgen

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In Deutschland sind die Gefährte erst seit Juni 2019 zugelassen - und seitdem häufen sich die Unfälle. Darum wollen Münchner Mediziner das Fahren mit Elektrorollern sicherer machen. Dazu haben sie eine neue Studie aufgelegt.

Von Joachim Mölter

Auf dem Gelände der Uniklinik rechts der Isar herrscht am Donnerstag reger Verkehr: Etliche E-Scooter sausen über den Hof, kurven um Hütchen und die Fahrer schauen, dass sie sich dabei nicht in die Quere kommen. Vorsichtshalber tun sie das alles gleich vor der Notaufnahme, dort werden sowieso immer häufiger verunglückte E-Scooter-Fahrer eingeliefert. Während die Münchner Polizei im Jahr 2020 insgesamt 98 Verkehrsunfälle mit den elektrisch angetriebenen Tretrollern verzeichnet hat, registrierte sie in diesem Jahr allein bis Mitte dieser Woche bereits 221. Dabei gab es 164 leicht und 25 schwer Verletzte; oft war Alkohol im Spiel.

Diese Entwicklung sorgt auch die Unfallchirurgen an der Uniklinik. In Deutschland sind E-Scooter erst seit 15. Juni 2019 zugelassen, aber schon im vorigen Jahr gab es die erste Studie, wie viele der im Klinikum rechts der Isar eingelieferten Verkehrsopfer auf E-Scooter zurückzuführen sind. Das Ergebnis: 60 innerhalb von neun Monaten, mehr als den hiesigen Unfallchirurgen lieb ist. Weil die aber nicht nur feststellen wollten, wie viele Unfälle es mit dem neuen Fortbewegungsmittel gibt, sondern auch, wie man sie vermeiden kann, haben sie eine neue Studie aufgelegt.

Es ist ja nicht so, dass sie dringend neue Patienten bräuchten, im Gegenteil. "Es gibt immer weniger Unfallchirurgen für immer mehr Verletzungen", sagt Chlodwig Kirchhoff, der mit seinem Kollegen Michael Zyskowski die Studie leitet. "Die Unfallchirurgie besteht nicht nur aus dem Behandeln", erklärt Kirchhoff, "sondern auch aus dem Verhindern. Prävention ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Wir wollen lieber weniger Unfallverletzte, als dass wir sie am Ende nicht mehr behandeln können."

Mit ihrem Team und mit Unterstützungs des Miet-Scooter-Anbieters Voi, der Fahrzeuge und Helme zur Verfügung stellte, haben sie ein Fahrsicherheitstraining entwickelt. An dem nahmen am Donnerstag 79 Probanden teil, der jüngste war 18, der älteste 77, die meisten waren unter 45. Das dürfte der generellen Altersstruktur der Scooter-Nutzer entsprechen. Ein Jahr lang begleiten die Forscher die Studienteilnehmer und fragen sie über ihre Erfahrungen mit dem Fahrgerät ab.

In mehr als der Hälfte der Unfälle sind Kopf und Gesicht betroffen

Schwerpunkte des Sicherheitstrainings waren das Beschleunigen, Lenken und Bremsen des Geräts. Zyskowki hatte bei der ersten Studie herausgefunden, dass etwa jeder Sechste, der zum ersten Mal mit einem Elektroroller fährt, damit auch gleich einen Unfall baut. "Fahrradfahren lernt man mit Mama und Papa im Park, in einem geschützten Raum", sagt er: "Der Scooter kommt gleich im Straßenverkehr zum Einsatz. Aber auch den sollte man erst mal in einem sicheren Bereich ausprobieren." Kirchhoff warnt ausdrücklich: "Der E-Scooter ist ein anderes Gefährt als ein Fahrrad oder ein Mofa."

Bei der Erststudie fiel auf, dass ein Unfall mit dem E-Scooter oft andere Verletzungen nach sich zieht als einer mit dem Fahrrad: In mehr als der Hälfte der Fälle sind Kopf und Gesicht betroffen. "Beim Scooter stürzt man nach vorn, wegen der niedrigeren Fallhöhe als beim Fahrrad. Das hat man zwischen den Beinen, da fällt man eher zur Seite", erklärt Kirchhoff. Erschwerend kommt beim E-Scooter ein weiterer Aspekt hinzu, wie die Forscher festgestellt haben. "Alkoholeinfluss mindert die Reaktionsfähigkeit und die Schutzreflexe, und wenn diese abgeschwächt sind, stürzt man halt aufs Gesicht oder den Kopf", sagt Zyskowski.

Aus unfallchirurgischer Sicht wäre deshalb eine Helmpflicht beim E-Scooter-Fahren zwar sehr ratsam, findet Michael Zyskowski, aber er fürchtet: "Das wird sich wohl rein technisch nicht durchsetzen lassen." Von den Bestrebungen, E-Scooter ab einer bestimmten Uhrzeit abzuschalten, weil viele Unfälle nachts und unter Alkoholeinfluss geschehen, hält wiederum Kirchhoff nichts: "Ein Verbot ist nicht das richtige Mittel. Man muss vielmehr trainieren, richtig damit umzugehen."

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SZ vom 25.09.2021
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