Süddeutsche Zeitung

Deutsches Theater in München:Säulen ohne Heilige

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Das Deutsche Theater will seinen Silbersaal noch mehr glänzen lassen: mit Weltmusik, Klassik-Salons und Tanzabenden.

Von Michael Zirnstein

Als die Masterclass-Studenten der Everding-Theaterakademie ein Stück über die ersten 125 Jahre des Deutschen Theaters inszenierten, wählten sie nicht dessen große Spielhalle für die Aufführungen. Nebenan, im kleineren Silbersaal wollten sie in den Rollen von Archäologen der Zukunft umherwandeln, an den Wänden klopfen und hören, welche Geschichten diese über den Münchner "Palast des Lächelns" zu erzählen haben. Und tatsächlich können nur die Wände des Silbersaals all diese gespeichert haben, haben sie als einzige die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs überstanden: eine Zeitkapsel von 1896, ein Salon-Schmuckkästchen, der Amalienburg im Park des Schlosses Nymphenburg nachempfunden. Schallisoliert, brandgeschützt und einsturzgesichert kam der Silbersaal nach der großen Sanierung des Deutschen Theaters an der Schwanthalerstraße 2014 wieder zum Einsatz, für Kleines, Feines, Experimentelles. Wie eben das Jubiläumstück, das bereit war zur Aufführung.

Doch dann schlug Corona zu, mit all all seinen pandemischen Turbulenzen. In deren Sog geriet auch das Deutsche Theater, das nun - eine sehr verknappte Kausalität - einen neuen Intendanten hat. Thomas Linsmayer kam von der Pasinger Fabrik und brachte von dort ein Herz für die Kleinkunst und viele Seilschaften mit. Für beides hat er nun einen Spielplatz entdeckt: den Silbersaal. "Münchens schönste Kulturbühne" (Freunde des Cuvilliés-Theaters mögen dies verzeihen) wird nach seinem Wunsch nun "noch bunter, vielseitiger, facettenreicher". Es gibt hier also nun nicht nur das "Standard"-Programm, mit Liebhabersachen wie dem urbayerischen Stoff "Brandner Kaspar", der von Mittwoch, 16. November, bis in den Januar hinein als Musical geboten wird mit der wohl weltallerersten Boandlkramerin in einer Inszenierung von Benjamin Sahler, dem Intendanten des Festspielhauses Füssen (wo das Stück in noch breiterem Show-Format auch gezeigt wird). Es gibt nun überdies eben eine eigens für diesen Salon gezimmerte Reihe: "Welt im Silbersaal".

Diese wiederum steht auf drei Säulen: Tango-, Swing- und Volks-Tanzveranstaltungen, Salonabende mit unklassisch dargebotener Klassik und Weltmusik. Für Letztere habe es noch keine rechte Heimat in München gegeben, befand Theaterleiter Linsmayer und holte sich Hilfe bei einem alten Weggefährten: Mulo Francel. Der Holzbläser wird hier nun nicht nur selber auftreten, sei es als Moderator und als Gastmusiker etwa beim Konzert der "Botschafterin des Bossa Nova in Deutschland", der schon an der Staatsoper von Rio oder mit Placido Domingo, Zubin Mehta und Kurt Masur beschäftigten Viviane de Farias (Mittwoch, 23. November). Oder mit seiner eigenen, "Echo"-prämierten virtuosen Globetrotter-Truppe Quadro Nuevo, in deren Brückenschlag-Programm "Flying Carpet" er hier zusammen mit dem Sufi-Weltmusik-Ensemble Cairo Steps "über Grenzen und Ideologien hinweg" spielen will (30. März 2023).

In diesem Sinne ist Mulo Francel auch der Kurator der ganzen Reihe als "Beitrag zur Völkerverständigung". Er will auch "Zeichen setzen", etwa wenn er im Mai Musiker aus dem Iran einlädt, um den Mut der Demonstranten von Teheran zu ehren. Weltmusik ist für ihn (nach Definition Joachim-Ernst Berendts), wenn sich Künstler oder Stile aus verschiedenen Kulturräumen in einem Konzert begegnen. Prototypisch dafür steht das Ajam Quartett (8.12.), in dem "transkulturelle Brückenbauer" aus Syrien, Russland, Israel und Deutschland arabische Oud, klassische Violine, Jazz-Bass und Funk-Percussion zusammenklingen lassen in "Migrating Tunes". Das Würzburger Gitarren-Duo Café del Mundo spinnt seinen Flamenco mit Klassik und Techno zusammen (15.12.). Das Moritz Weiß Klezmer Trio verbindet die Tradition und die Moderne des Klezmer mit Klassik und Jazz (8.2.). Und Met in Munich haben sich zwar namensgemäß in München mit dem hier szenewirksamen Schlagzeuger Stefan Noelle vereint, bringen aber aus Syrien, Polen und Venezuela ihre Ideen mit und wollen also "Leise flehen meine Lieder" so spielen, als hätte Schubert es für die Oud geschrieben (20.1.).

Dies ist ein offenes Verständnis für die Klassik, wie es auch der Pianistin Maharani Chakrabarti gefällt. Sie hat eine Reihe Salonabende komponiert, in der eben auch der ehemalige Band-Leader von Thomas Gottschalks TV-Shows Christoph Pauli eine "Klavierstunde" geben darf mit Musik von Barock über Rock bis "Beischlafsoundtracks", und mit Plaudereien über andere "Tastenhelden" wie Rubenstein oder Chilly Gonzales (2.12.). Ganz zwanglos, "ohne elitären Gestus" will die Kuratorin auch ein Musical-Publikum für die Klassik gewinnen, wenn sie selbst mit der Sopranistin Verena Incko und dem Bariton Thomas Gropper den "frechen Mozart" menscheln lässt und seine frivolen Briefe vorliest (26.11.). Oder wenn sie Franz Schuberts "Winterreise" zusammen mit Ludwig Mittelhammer so aufführt wie der Komponist einst selbst: im kleinen Rahmen mit dem Flügel in der Mitte des Publikums. Das schaffe eine ganz andere Nähe zum Instrument und zur Musik. Die Gäste sitzen hier an Tischen, dürfen etwas trinken während der Konzerte, beispielsweise auch beim ungewöhnlich peppigen Adventssingen "Mehr oder weniger Lametta" von Anna Veith und sechs Musikern der Münchner Philharmoniker (11.12.). Und die Gäste dürfen sich darauf freuen, dass sich die Künstler nach den Shows noch zu ihnen gesellen (und umgekehrt).

So könnte er einmal gedacht gewesen sein, der Silbersaal. Übrigens auch für Tanz, der hier nun mit Swing (10.1.), Volksmusik mit Vortänzern und Die Alpenschweden (21.1.) und Tango mit Flavia Cristaldo (22.1., inklusive Workshop) das Parkett belebt - und den Saal sicher neue Geschichten erleben lässt.

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