Süddeutsche Zeitung

"Zammreißen-Demo" auf dem Odeonsplatz:"Nicht noch einmal!" - 35 000 Menschen demonstrieren gegen rechts

Lesezeit: 2 min

Charlotte Knobloch und andere prominente Redner warnen vor einem Rückfall in dunkle Zeiten. Zehntausende sind gekommen. Es ist ein Protest gegen rechtsextreme Tendenzen, gegen Hass und Hetze - aber auch ein Fest der Demokratie.

Von Bernd Kastner

Nein, Luise Kinseher will dem Löwen nicht an den Kragen, aber ablösen würde sie ihn schon gerne. Die Frau, die die Mama Bavaria auf dem Nockherberg war und jetzt vor der Feldherrnhalle steht, denkt über das bayerische Wappentier nach. Ein Tier, das gerne schläft, und wenn es nicht schläft, dann brüllt, um anderen Angst einzujagen, sei das Leittier der bayerischen Politik. Viel lieber, sagt die Kabarettistin, wäre ihr ein anderes Wappentier.

"Ich bin für die Kuh", ruft sie und die Menge lacht. "Die Kuh ist eine Frau", eine Veganerin obendrein, sie brüllt nicht, sondern muht, und ansonsten verbringt sie ihr Leben mit Essen und Verdauen. Hochwürgen, wiederkäuen, runterschlucken. Das, sagt Kinseher, sei für sie ein "Symbol von friedlich gelebter Demokratie".

Tausende Menschen johlen. 35 000 sind laut Polizei gekommen zur Kundgebung unter dem Motto "Zammreißen - Bayern gegen Rechts". Es ist ein Protest gegen rechtsextreme Tendenzen, gegen Hass und Hetze. Dann aber wird die Versammlung mehr und mehr zu einem Fest der Demokratie. Menschen lachen und klatschen und tanzen. Ernst sind die Warnungen vor der AfD, aber noch größer ist das Lob auf die Demokratie, die es zu verteidigen gelte. Ein Team um Till Hofmann und Aktive von Bellevue di Monaco, Lichterkette, München ist bunt und Offen bleiben! hat in wenigen Tagen ein beachtliches Programm organisiert, Größen aus der Kultur treten auf, reden und spielen, manchmal auch beides.

Günther Sigl rockt mit seiner Spider Murphy Gang den Platz bis zum Innenministerium. Dazwischen erzählt er, dass sein Opa im Ersten, sein Vater im Zweiten Weltkrieg waren und er das Glück hatte, 1947 geboren zu sein. Wenn es jetzt heiße, er spielt auf Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger an, dass man sich die Demokratie zurückholen solle - "ja leck mich doch am Arsch!", ruft Sigl. "Ich habe meine Demokratie, und die wollen sie uns jetzt wegnehmen", das dürfe man nicht zulassen. Er sei kürzlich wieder Opa geworden, seinen Kindern wünsche er ein Bayern "ohne braunen Dreck". Die Menge applaudiert.

"Es widert mich an"

Ursula Münch, Chefin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, sagt, sie verstehe die Menschen, die Existenzängste haben und vom Heizungsgesetz verunsichert sind. Aber sie verstehe nicht, wenn diese Menschen sich von Rechtsextremen Lösungen erwarten: "Das Gegenteil ist der Fall." Münch sagt, sie sei im Vorfeld der Kundgebung für ihren Auftritt kritisiert worden, er passe nicht zum überparteilichen Anspruch der Akademie. "Dem widerspreche ich entschieden!" Die Akademie sei in den 1950er-Jahren schließlich gegründet worden, um die Demokratie vor Extremisten zu schützen. Sie greift die AfD frontal an. Die Partei profitiere davon, wenn es dem Land schlecht gehe, deshalb spiele sie ein "destruktives Spiel mit dem Feuer", sagt Münch. "Es widert mich an."

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Ehrenbürgerin Münchens, ruft die Menschen zum Zusammenhalt für die Demokratie auf. Ein weiteres Erstarken der AfD dürfe man nicht zulassen, sagt die Holocaustüberlebende und ruft: "Nicht noch einmal!"

Maxi Schafroth, Kabarettist aus dem Allgäu und aktueller Fastenredner auf dem Nockherberg, macht sich ein bisschen lustig über die Münchner und die Starnberger, um sich dann selbst und die Menge daran zu erinnern, was das bedeutet, "dass wir sagen dürfen, was wir wollen". In vielen anderen Ländern wäre Till Hofmann schon am Morgen der Kundgebung festgenommen worden. Dann zitiert sich Schafroth selbst, eine Passage aus der Fastenpredigt, für die er viele kritische Briefe bekomme: Wer die Freiheit in der Demokratie nicht schätzt, wem sie zu bunt ist, der möge bitte gehen und Platz machen für jene, die neu kommen und "an der Freiheit teilhaben wollen". Zehntausende applaudieren.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde die Gruppe "Künstler mit Herz" als Mitorganisator der Kundgebung genannt. Dies ist nicht der Fall, wir haben die Passagen korrigiert.

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