Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in München:Wie gefährlich ist Singen?

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Mithilfe des BR-Chors und dem Dampf von E-Zigaretten wollen Forscher herausfinden, wie sich das Virus im Raum verbreitet - und wie sich die Gefahr der Ansteckung verringern lässt.

Von Ramona Dinauer

Das Licht ist grell, der Hintergrund schwarz. Dampf aus einer E-Zigarette umspielt das Gesicht der Sängerin, ehe die Musik einsetzt. Laser und Hochgeschwindigkeitskameras stehen bereit. Was zunächst an das Setting eines Hip-Hop-Musikvideos erinnert, ist eine aufwendige Testreihe zu Corona-Ansteckungsrisiken beim Singen.

Konzipiert haben die Studie Matthias Echternach, Leiter der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie am LMU Klinikum München, und Stefan Kniesburges, Strömungsmechaniker am Universitätsklinikum Erlangen. Am Chor des Bayerischen Rundfunks untersuchten die Wissenschaftler die Ausbreitung im Raum von größeren Tröpfchen genauso wie von den sogenannten Aerosolen beim Singen und Sprechen.

An zwei Terminen im Mai wurde im BR-Studio in Unterföhring die Verteilung der Partikel gemessen. Jeweils zehn Mitglieder des Chors des Bayerischen Rundfunks sangen nacheinander gleiche Texte in verschiedenen Lautstärken. Laser und Hochgeschwindigkeitskameras nutzten die Wissenschaftler, um im ersten Setting die Streuung der größeren Tröpfchen zu messen.

Im zweiten Setting inhalierten die Sänger und Sängerinnen eine Trägerlösung aus einer E-Zigarette. Beim anschließenden Singen wurden so die feinen Aerosole in hellem Weißlicht sichtbar. Neben dem Gesang untersuchten Echternach und Kniesburges das Spiel von Bläserinnen und Bläsern aus dem Symphonieorchester des BR. Die Daten über die Aerosol- und Tröpfchenverbreitung der Blasinstrumente werden noch ausgewertet.

Zu den Tests liegen nun erste Ergebnisse vor. "Unsere Studie sagt sehr viel darüber aus, wie sich Aerosole beim Singen ausbreiten, wenn diese den Mund verlassen," erklärt Studienleiter Echternach. Es ist aber auch wichtig, die Aerosole aus dem Raum zu beseitigen. Das gelingt, wenn die Partikel regelmäßig durch Frischluft entfernt werden - sprich der Raum dauerhaft gelüftet wird. Unter dieser Prämisse sollte bei Chorproben nach vorne ein größerer Abstand als seitlich der Mitglieder eingehalten werden. Bis zu eineinhalb Meter weit flogen die ausgestoßenen Aerosole einiger Probanden beim Singen. Daher seien Sicherheitsabstände von 1,5 Metern wohl zu gering. "Wenn kontinuierlich gelüftet wird, wären Abstände von 2 bis 2,5 empfehlenswert," sagt Echternach.

"Wir wissen nicht, welche Konzentration des Coronavirus es in der Luft braucht, um sich zu infizieren"

Eine permanente Lüftung schreibt Bayern bei Chorproben nicht vor. Lediglich eine Lüftungspause von zehn Minuten muss nach 20 Minuten Singen im geschlossenen Raum eingehalten werden. Außerdem setzt das Ministerium einen Mindestabstand von zwei Metern bei Laienchören voraus. "Wenn sich Chöre auf die Lüftungsintervalle beschränken, wäre ein Abstand zwischen den Sängern von drei Metern deutlich sinnvoller," sagt Echternach. Chorproben in Räumen, in denen gar nicht gelüftet werden könne, hält der Wissenschaftler für sehr problematisch.

Strömungsmechaniker Kniesburges ergänzt, dass zur Seite hin ein Abstand von 1,5 Metern ausreiche, solange die Aerosole regelmäßig aus der Luft entfernt werden. "Wie hoch das absolute Risiko ist, sich bei einer Chorprobe anzustecken, kann man leider noch nicht sagen," gibt Echternach zu bedenken. "Wir wissen nicht, welche Konzentration des Coronavirus es in der Luft braucht, um sich zu infizieren."

Singen mit Maske, so die Erkenntnis der Studie, wäre durch die Verminderung der Partikelaustritte eine Option, aber nicht wirklich für Profichöre geeignet. Die Artikulation durch die Maske sei deutlich eingeschränkt. Die großen Tröpfchen filtern chirurgische Masken beim Singen zwar komplett heraus, die feinen Aerosole kann der Mundschutz jedoch nicht gänzlich aufhalten. Da die Masken oft nicht dicht abschließen, strömt ein Teil der Aerosole leicht strahlartig hervor.

Während professionelle Chöre jede Nuance von Klang brauchen, könnte das Singen mit Maske bei Laienchören einiges verhindern. Ob mit oder ohne Mundschutz - die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, sei mittlerweile deutlich geringer, so Echternach. Nicht verhältnismäßig findet Echternach, der professioneller Sänger ist, deshalb die Vorgaben für Chorproben in Berlin. Dort darf in geschlossenen Räumen nicht gemeinsam gesungen werden. "Für die Psyche und auch als Kulturgut haben die Chorproben in unserer Gesellschaft eine hohe Bedeutung," sagt Echternach "Ich will, dass wieder gesungen wird."

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SZ vom 04.07.2020
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