Süddeutsche Zeitung

Buchvorstellung:Im Auf und Ab der Jahrhunderte

Lesezeit: 3 min

Der Historiker Reinhard Bauer hat ein reich bebildertes Stadtporträt über "Münchens Bauten und Architektur im Wandel der Zeit" vorgelegt. Nicht unähnlich einem Reiseführer geht das Werk auch auf bekannte und unbekannte Projekte der jüngsten Vergangenheit ein.

Von Jerzy Sobotta

Keine bayerische Stadt ohne eine Stadtchronik - das wünschte sich König Ludwig I. im Jahr 1827. Historisches war schon damals die Mode der Zeit, weshalb die Chroniken nach mittelalterlichem Vorbild geschrieben werden und Tag für Tag alles Großartige und Unbedeutende aneinanderreihen sollten. Auch die Münchner setzten einen fleißigen Bibliothekar darauf an, der von 1845 an eine Stadtchronik führte und diese Aufgabe dann an seinen Sohn weitergab. Das Werk wuchs, bis es am 31. Dezember 2017, nach über 170 Jahren und 74 Regalmetern, schließlich eingestellt werden musste. Zu hoffnungslos ist das Unterfangen in einer modernen Großstadt geworden.

Trotzdem ist die Lust am Chronologischen nicht geschwunden, auch bei heutigen Stadthistorikern. Schließlich bildet der nüchterne Zeitstrahl ein sicheres und unstrittiges Organisationsprinzip, um sich im Auf und Ab der Jahrhunderte zurechtzufinden. Auch das von Reinhard Bauer vorgelegte Stadtporträt "Münchens Bauten und Architektur im Wandel der Zeit" erinnert an eine Stadtchronik, bei der die Zeitachse es sogar aufs Deckblatt geschafft hat.

Auf rund 220 Seiten bekommt der Leser einen gut bebilderten und umfassend recherchierten Überblick über die wichtigsten Etappen der Stadtentwicklung: Von den ersten bajuwarischen Siedlungen über den mittelalterlichen Salzhandel, den Bau der Frauenkirche, die klassizistischen Prunkbauten in der Maxvorstadt bis zum ersten Hochhaus an der Blumenstraße, finden sich nahezu alle Gebäude, die bis heute das Erscheinungsbild Münchens prägen. Nicht unähnlich einem Reiseführer geht das Buch auf die Entstehungsgeschichte eines jeden Bauwerks ein, listet die wichtigsten Jahreszahlen, Architekten und Umbauarbeiten auf.

Das große Format verdammt den Band zum Heimgebrauch. Das muss nicht weiter stören, denn die Zielgruppe sind eindeutig Einheimische, die sich ohnehin gut in den Straßen und Vierteln ihrer Stadt orientieren. Kartenmaterial findet sich allenfalls aus dem Mittelalter, doch dafür sorgen die großformatigen Fotografien und historischen Abbildungen für reichlich visuellen Stoff, mit dessen Hilfe man sich leicht zurechtfindet.

Eine Stärke des Buches ist, dass auch die moderne und neueste Stadtentwicklung umfangreich gewürdigt wird. So finden sich neben berühmten Großprojekten wie Olympiapark, Gasteig oder Flughafen auch Abschnitte zum Siedlungsbau der Nachkriegszeit, etwa im Hasenbergl, am Lerchenauer See oder in Neuperlach. Auch Bauprojekte der vergangenen Jahre kommen vor, ob Olympia Business Center in Moosach oder das 2019 eröffnete Stelzenhaus am Dantebad.

Allerdings irritiert der Text zum Ende hin zunehmend. Da häufen sich Firmenporträts, die offenbar nicht aus der Feder des Autors stammen, sondern sich so lesen, als kämen sie von den Pressestellen der Unternehmen. An diesen Stellen ist das Buch kaum von einer Werbebroschüre zu unterscheiden. Erst hinten beim Literatur- und Quellenverzeichnis erfährt man, dass der Inhalt zu 21 Firmen offenbar inseriert und bezahlt worden ist. Das hätte bereits im Text deutlich hervorgehoben werden müssen.

Erlebbar wird der titelgebende "Wandel der Zeit" am besten beim Blättern. Es sind die Abbildungen, die die Stadtgeschichte lebendig werden lassen. Dort lichtet sich das Gewühl des mittelalterlichen Marienplatzes, es entsteht die Glas-und-Stahl-Architektur der Gegenwart. Im Text hingegen findet sich zwar viel Hintergrundinformation, es fehlt ihm aber die Kraft der Darstellung. Wie bei den mittelalterlichen Chroniken vermischt sich Wesentliches mit beiläufig Recherchiertem.

Somit bleibt der Eindruck, ein ordentliches Nachschlagewerk in der Hand zu haben, in dem vergegenwärtigt wird, wie die großen Architektur-Epochen in München ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei hilft ein umfangreiches Stichwortverzeichnis, das bei der gezielten Suche nach Bauwerken nützlich ist. Als Lesebuch ist der Band allerdings nicht geeignet. Zu trocken werden die Fakten aufgezählt, zu nüchtern und unbeteiligt reihen sich die Jahreszahlen und die Fülle der Einzelheiten aneinander. Zu sehr bekommt man den Eindruck, dass das Chronologische nicht nur in der Gesamtkomposition entscheidend war, sondern bei Abfassen des Textes bis zu den Abschnitten über die einzelnen Bauwerke den Ausschlag gab. So bleibt letztlich auch die Frage offen, ob es so etwas gibt wie eine typisch Münchnerische Architektur. Ob im Werden und Vergehen der Bauten noch etwas anderes übrig bleibt als der Wandel der Zeit und seine nüchterne Chronologie.

Münchens Bauten und Architektur im Wandel der Zeit. Wikommedia Verlag/Bavarica Verlag Olching und München 2020, 224 Seiten, 29,80 Euro

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SZ vom 05.01.2021
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