Süddeutsche Zeitung

Ausstellung "False Awakening" im Kunstpalais Erlangen:Im falschen Körper

Lesezeit: 3 min

Der chinesische Medienkünstler LuYang schickt seinen Avatar DOKU durch Himmel und Hölle - auf der Suche nach einer Identität.

Von Florian Welle, Erlangen

Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Der sprichwörtlich gewordene Buchtitel von Richard David Precht kommt einem unmittelbar in den Sinn, wenn man sich zwischen den Bildschirmen im größten Ausstellungsraum des Untergeschosses des Erlanger Kunstpalais' bewegt. Hier herrscht zu stampfenden Technobeats der siebenfache Avatar DOKU des chinesischen Medienkünstlers LuYang in einer virtuellen Welt.

DOKU hat immer das Gesicht des 1984 in Shanghai geborenen Künstlers, der mit seinen ästhetisch und inhaltlich hochkomplexen Videoinstallationen, Animationsfilmen und Computerspielen Neurowissenschaft, Biotechnologie, Science-Fiction, asiatische Comic-Asthetik und Buddhismus verbindet und derzeit international für Aufsehen sorgt. Frisur und Kleidung von DOKU jedoch variieren.

Mal trägt er zu feuerrotem Haar eine metallisch glänzende Rüstung irgendwo zwischen Samurai-Panzer und Captain Future. Mal scheint er mit seiner pechschwarzen Mähne und den roten Kontaktlinsen direkt der Hölle entsprungen zu sein. In einer anderen Arbeit, in der er durch sattgrünen Regenwald tanzt und durch eine postapokalyptische Welt zu irren scheint, schlüpft er in ein Trikot, das an ein Skelettkostüm erinnert - wäre darauf nicht das Muster einer Computerplatine statt Knochen zu sehen.

DOKU ist als digitale Reinkarnation LuYangs zu verstehen. Der Handzettel, den man am Eingang zur Ausstellung "False Awakening" erhält - seiner ersten institutionellen Einzelschau im deutschsprachigen Raum - nennt die zwischen 2021 und 2022 entstandene Arbeit einen "Befreiungsschlag gegen die Begrenzungen von Raum und Zeit". Doch da scheint noch mehr zu sein. Die androgyne Kunstfigur hat keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale und unterläuft so alle normierenden, biologischen und kulturellen Zuschreibungen und damit unsere gängigen Vorstellungen von Körper und Korporalität.

Horror und Gewalt vor einer bedrohlichen Klangkulisse

Der Begriff "Befreiungsschlag" ist von den Kuratoren Nora Gantert und Malte Lin-Kröger auch deshalb treffend gewählt, weil LuYangs Werk durchaus etwas Überwältigendes und Aggressives besitzt. Seine Kunst fordert den Betrachter und erschließt sich keinesfalls im Vorbeigehen. Mitunter ist sie rasend schnell, zeigt immer auch Horror und Gewalt vor einer bedrohlichen Klangkulisse. Folgerichtig erinnern zwei Räume der Ausstellung an die in Asien häufig anzutreffenden Spielhallen mit ihrem Automatenlärm.

So ist der letzte Raum in blauviolettes Licht getaucht, nur vereinzelt unterbrochen durch rote Leuchtröhren. In dieser kalten Höhle, deren Wände die chinesischen Schriftzeichen für Wahn und Zerstörung zieren, kann man sich auf Drehhockern frühe Videoarbeiten ansehen. Während in "Delusional Crime and Punishment" die virtuellen Figuren zum Teil brutal gefoltert werden, hat "Delusional Mandala" den medizinisch-technischen Blick auf den menschlichen Körper zum Thema. Wie repräsentiert die Medizin mit ihren bildgebenden Verfahren den Menschen?

Vor dem Hintergrund unserer Verletzlichkeit und Vergänglichkeit erscheint eine Wiedergeburt als ein digitaler Avatar wie DOKU auf den ersten Blick verheißungsvoll. Doch Vorsicht ist geboten. Denn der Titel der Ausstellung ist doppelbödig. "False Awakening" spielt ja nicht nur auf die Möglichkeit eines Erwachens im virtuellen Raum an, sondern stellt dieses gleichzeitig als "falsch" und damit fragwürdig zur Disposition. Jedenfalls lässt LuYang seinen DOKU in zwei weiteren Arbeiten aus dem Jahr 2021 nicht glückselig durch ein digitales Paradies laufen, in dem alles besser ist als in der realen Welt.

Im Gegenteil. Wie eine Art Godzilla steht er in "Gigant DOKU - LuYang the Destroyer" zwischen den Hochhausschluchten einer Megacity und sendet aus den Augen vernichtende Laserstrahlen. Spannend ist zudem, dass die auf einer Live-Performance basierende Arbeit selbst ihre eigene Machart reflektiert. DOKU wurde mit Hilfe des Motion-Capture-Verfahrens zum Leben erweckt. Dazu wurden einem Tänzer, den man immer wieder auf dem Monitor eingeblendet sieht, am Körper Marker angebracht, um seine Bewegungen auf computergestützte 3D-Modelle zu übertragen. Ironie der Geschichte: LuYangs Reinkarnation funktioniert nur deshalb im virtuellen Raum, weil sich ein Mensch aus Fleisch und Blut in der analogen Welt bewegt. So einfach ist es eben doch nicht, sich vom echten Körper zu befreien.

Die bemerkenswerteste Arbeit dieser in vielerlei Hinsicht verblüffenden Ausstellung ist sicher die gut halbstündige Videoinstallation "The Great Adventure of Material World" von 2019. Dabei dreht LuYang seine Fragen nach Körper, Geschlecht, Identität, Geist und Bewusstsein noch einmal weiter und wendet sie ins Spirituelle, indem er sie mit der buddhistischen Philosophie und hier vor allem mit dem bedeutenden Diamant-Sutra kurzschließt, das mit den Worten endet: "Die ganze bedingte Existenz ist ... wie eine Illusion, ein Phantom, ein Traum. So sollte sie betrachtet werden."

Das Video ist wie ein ultratrashiges, bonbonbuntes Computerspiel aufgebaut und gipfelt in der Frage: "Does the self really exist?" Die mangaäugige Superheldenfigur "Material World Knight" muss acht Schwierigkeitsstufen inklusive Himmel und Hölle durchschreiten, um schließlich gegen sich selbst zu kämpfen. Die Aufgabe: "Destroy yourself". Wer danach immer noch nicht genug hat, kann sich selbst als spiritueller Krieger ausprobieren und LuYangs gleichnamiges Computerspiel nebenan spielen. Oder er verlässt das Kunstpalais, sucht sich einen ruhigen Platz und beginnt zu meditieren.

LuYang, False Awakening, Kunstpalais Erlangen , bis 19. Juni

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