Süddeutsche Zeitung

Historischer Krimi:Lügen in Vorbereitung des Krieges

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Der Schriftsteller Leonhard F. Seidl erzählt in seinem Roman "Vom Untergang" am Beispiel Fürth von den Verwerfungen der Weimarer Republik.

Von Antje Weber, Fürth

Auf den ersten Blick sieht es wie eine zünftige Idylle aus: Der Philosoph Oswald Spengler, berühmt für sein Werk "Der Untergang des Abendlandes", geht zum Fischen. Im Sommer 1922 spaziert er im oberbayerischen Markt Isen mit dem dortigen Forstrat Georg Escherich und einem kleinen Buben namens Seppl zu einem Forellenbach - und die schillernde Szene, die der Fürther Schriftsteller Leonhard F. Seidl daraus entwickelt, ist allein schon die Lektüre seines neuen Kriminalromans wert. Denn Spengler, als herzschwacher, lebensängstlicher Mann des Wortes vorgeführt, ist von diesem Ausflug in die Tat schier überfordert. Er ächzt, er wankt, er lügt. Der Philosoph gibt kein gutes Bild ab - dabei ist er doch aus München angereist, um mit dem Forstrat einen hehren Plan zu schmieden.

Denn beiden Männern geht es um sehr viel größere Fische als ein paar Forellen. Der stramm rechte Förster hatte in den Jahren zuvor unter dem Dach einer "Organisation Escherich" republikfeindliche Einwohnerwehren gegründet, und Spengler erkennt in ihm jemanden, der seinen Ideen einer manipulativen Lenkung der Presse Nachdruck verleihen könnte. Denn für Spengler ist ein Pressefeldzug "die Fortsetzung - oder Vorbereitung - des Krieges mit andern Mitteln". Und die in seinen, den rechtsgerichteten Kreisen als schändlich geschmähte Weimarer Republik soll schließlich mit allen Mitteln bekämpft werden.

In Fürth stirbt ein Arbeiter, in Berlin der Minister Walther Rathenau

Die Idylle trügt also gewaltig; vielmehr geht es hoch her in Leonhard F. Seidls Roman "Vom Untergang". Man könnte auch mit ganz anderen Szenen einsteigen, denn er beleuchtet höchst unterschiedliche Milieus und Aspekte der von politischen wie sozialen Spannungen zerrissenen Weimarer Republik. Die Ausflüge nach Isen sind zwar von zentraler Bedeutung, doch der Rest des Romans spielt in Fürth, mit viel Lokalkolorit der auch (verkehrs-)technischen Umbruchszeit der Zwanzigerjahre. In Fürth sind die rechten Kreise ebenfalls präsent, säen frühe NSDAP-Mitglieder Gewalt. Besonders enge Verbindungen zu den Kreisen um Spengler und Escherich pflegt der Spiegelfabrikant Georg Gumbrecht, der die immer selbstbewusster demonstrierenden und streikenden Glasarbeiter ausbeutet und dessen Sohn ungeniert Frauen missbraucht. Zu einem seiner Arbeiter wird schließlich auch der junge Sozialdemokrat Max Schmidtill, liiert mit der Tochter Emma des Anarchisten Fritz Oerter - und, wie man schon früh in diesem Krimi erfährt, am Ende tot.

Ist er ein Opfer von Rechtsradikalen geworden? Um die Umstände von Max' Tod - parallel geführt mit zeitgleichen Mordversuchen und Morden an Politikern wie Philipp Scheidemann und Walther Rathenau - kreist der Krimi in etlichen Windungen. Seidl bietet in diesem weitgehend historisch abgesicherten Roman viel, vielleicht allzu viel dokumentarisches Material auf - polizeiliche Vernehmungsprotokolle, Zeitungsartikel, Briefe, Reichstags-Sitzungsprotokolle. Zusammengehalten wird alles durch eine Romanhandlung, in der meist abwechselnd Max und Emma agieren. Dass die Gemengelage manchmal etwas unübersichtlich wirkt - geschenkt. Wichtiger ist der von diesem Roman bleibende Eindruck einer Zeit, die vor unterdrückter wie ausgelebter Gewalt vibriert - teils sehr weit entfernt von der unseren erscheinend, teils beunruhigend nah. Und nebenbei bekommt man Einblicke nicht nur ins Tagesgeschäft, sondern auch ins Nachtleben Oswald Spenglers: Der fällt in Isen nicht nur als Unsympath, sondern sogar als Schlafwandler auf. Aber auch als einer, der - wie die rechten Kreise bis heute - nicht zu unterschätzen ist.

Leonhard F. Seidl: Vom Untergang, Edition Nautilus, 243 Seiten, 18 Euro. Lesungstermine unter textartelier.de

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