Politkrimi:Wahnwitzig wie das wahre Leben

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Leonhard F. Seidl kommt zu einer Lesung aus seinem neuen Roman "Fronten" nach Dorfen

Von Florian Tempel, Dorfen

Auch sein neuestes Buch "Fronten" nennt Leonhard F. Seidl einen Kriminalroman. Ein klassischer Vertreter dieses Genres ist das 160 Seite starke Werk aber nicht. Auf dem Klappentext steht ein treffendes Zitat des Literaturkritikers Thomas Wörtche: "Fronten ist der Roman zur politischen Situation heute - von wegen littérature engagée ist überflüssig. Sie ist notwendiger denn je, und Leonhard F. Seidl ist ihr Protagonist." Das ist nicht nur eine gute Einordnung, sondern auch ein dickes Lob für Seidls vierten, wie immer politischen Roman, der auch ein Krimi ist.

"Fronten" ist erst seit wenigen Wochen im Buchhandel zu haben. Autor Seidl - 1976 in München geboren, in Isen aufgewachsen, im autonomen Dorfener Jugendzentrum sozialisiert und heute in Nürnberg lebend - kommt an diesem Donnerstag, 21. September, um 19.30 Uhr zu einer Lesung ins katholische Pfarrheim nach Dorfen. Eine einmalige Gelegenheit, sich vor der eigenen Lektüre des Buches vom Verfasser wesentliche Auszüge vortragen zu lassen. Und wer das Buch schon selbst gelesen hat, kann mit Seidl in eine sicher interessante Diskussion einsteigen.

Das Buch spielt in einem fiktiven Ort namens Auffing, inspiriert ist die Geschichte aber durch reale Ereignisse in Dorfen. Seidl hat sich intensiv mit dem Amoklauf des geistig verwirrten jugoslawischen Waffennarrs auseinandergesetzt, der am 4. März 1988 in der Polizeiinspektion Dorfen drei Polizeibeamte ermordete und einen weiteren schwer verletzte, bevor er selbst eine Kugel in den Kopf bekam und sechs Tage später an dieser Verletzung starb. Und er hat auch die Geiselnahme eines jungen, rechtsradikalen Iseners einen Monat später in der Dorfener Sparkasse recherchiert, eine Tat, die vom hasserfüllten Wunsch getrieben war, den Polizistenmord an Ausländern zu rächen. Seidl baut aber eine neue, ganz in unsere Gegenwart gesetzte Geschichte, die gleichwohl ebenso wahnwitzig ist wie das wahre Leben.

Drei Protagonisten gibt es, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird, zwar meistens chronologisch, aber manchmal auch mit zeitlichen Sprüngen in die Vergangenheit. Da ist der Amokläufer, der als Kind in Bosnien als einziger ein Massaker an seiner Familie überlebt hat, selbst Kämpfer wurde, später in Bayern unauffällig und scheinbar normal lebte. Dann die einzige Zeugin des Amoklaufs auf der Polizeiwache, eine Ärztin mit kurdischem Familienhintergrund, deren Vater Kommunist war, die aber immer Kopftuch trägt, doch kaum jemals eine Moschee von innen gesehen hat. Drittens der Folgetäter, ein Halbwaise, geboren am unheilvollen 4. März 1988, am Tag als seine Mutter starb, aufgewachsen bei seinen Großeltern, die fanatische "Reichsbürger" und auch sonst nicht ganz dicht sind.

"Fronten" ist ein starkes Buch, sehr gegenwärtig und zeitgenössisch, das die Abgrenzungen in den Köpfen von Menschen beschreibt, die nebeneinander leben. Ein spannender Roman, der beschreibt, was daraus werden kann, woher das kommt und wohin das führt.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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