Süddeutsche Zeitung

Buchvorstellung:Der lange Abschied

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Anna Fodorová liest im Sudetendeutschen Haus aus ihrem Porträt über ihre Mutter, die berühmte Prager Schriftstellerin Lenka Reinerová.

Von Jutta Czeguhn

"Wenn Sie wissen wollen, wie Franz Kafka gesprochen hat, hören Sie Lenka Reinerová zu", riet einst der Verleger Klaus Wagenbach. Was ein klein wenig kühn war, denn selbst er, der Biograf, hatte kein Wort je aus Kafkas Mund vernommen. Es gibt schlichtweg keine Aufnahmen, die von ihm erhalten sind. Das ist bei Lenka Reinerová, die 2008 im Alter von 92 Jahren starb, gottlob anders. Für den Audio Verlag etwa hat die berühmte Prager Autorin ihr Buch "Mandelduft" eingelesen. Da ist es zu hören, das Prager Deutsch mit dem harten "R" und dem "E", das gern zum "Ä" wird. Sie selbst nannte ihre Sprachtönung "weicher und - wenn ich so sagen darf - ein bisschen schlampiger als das deutsche Deutsch". In Reinerovás dunkler, warmer Stimme überträgt sich aber auch ein ganzes Leben, das alles erfahren hat, was das 20. Jahrhundert einer jüdischen Frau antun konnte. Flucht, Haft, die Ermordung ihrer Familie, Exil, Rückkehr, wieder Haft, das Getrenntsein von ihren Kindern, der Ruhm, der späte.

Wer war diese hochverehrte, starke Lenka Reinerová, die bis zu ihrem Lebensende immer für eine untergegangene Epoche sprechen musste und es auch weise tat? Eine behutsame, zuweilen schmerzhafte, aber nie voyeuristische Annäherung ist Anna Fodorovás Porträt "Lenka Reinerová - Abschied von meiner Mutter" (BTB-Verlag), aus dem sie am 20. September im Sudetendeutschen Haus liest. Das Buch der Tochter, die seit 1968 in London lebt und als Psychotherapeutin arbeitet, beginnt mit dem letzten Besuch der Mutter in England, der das langsame Sterben der Hochbetagten einläutet; ein Sturz, ein mehrwöchiger Krankenhausaufenthalt, die mühsamen Vorbereitungen für die Rückkehr der nunmehr Pflegebedürftigen nach Prag. Und immer ist da die Verwunderung der Tochter, ja ihre Verzweiflung an der Mutter, die sich kein Selbstmitleid erlaubt - und auch anderen gegenüber oft unerbittlich erscheint. Je hinfälliger, hilfloser Reinerová wird, desto mehr bröckelt diese perfekte Fassade, und Anna Fodorová erkennt dahinter einen traumatisierten Menschen, der nur so mit dem nagenden Schuldgefühl darüber, überlebt zu haben, fertig werden konnte.

Anna Fodorová: "Lenka Reinerová - Abschied von meiner Mutter", Lesung und Gespräch , Di., 20. Sep., 19 Uhr, Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München, Eintritt frei

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