Süddeutsche Zeitung

Wohnungsnot:"Das geht an die Substanz"

Lesezeit: 4 min

Im Landkreis München sind erschwingliche Wohnungen und Häuser Mangelware. Wer kaufen oder mieten will, braucht einen gut bezahlten Job und einen langen Atem. Drei Erfahrungsberichte.

Von Helena Ott, Landkreis

Wer in München und im Umland schon einmal eine Wohnung gesucht hat, weiß es: Auf Immobilien-Plattformen werden Preise verlangt, die jenseits dessen liegen, was man mit einem normalem Einkommen erwirtschaften kann. Der neueste Bericht des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) lässt keine Hoffnung aufkommen, dass die Preisspirale bald ein Ende findet. Am stärksten verteuert haben sich im vergangenen halben Jahr im Raum München freistehende Einfamilienhäuser (plus fünf Prozent). Im Vergleich zu 2008 kostet so ein Einfamilienhaus damit fast viermal so viel. Wer eine Wohnung oder ein Haus kaufen oder mieten will, braucht aber nicht nur ein Managergehalt, sondern auch überdurchschnittlich viel Zeit. Zeit, um zu inserieren, auf seine Bewohnertauglichkeit zu insistieren. Zeit, um sich die Objekte anzusehen, die sich auffrisiert auf den Plattformen bei näherem Hinsehen als massiv renovierungsbedürftig herausstellen. Drei Betroffene erzählen:

Müde vom Pendeln

Jennifer Raithel, 40, Pressesprecherin: Gerade wohne ich mit meinem Mann und meinen zwei Kindern in Weilheim - wir suchen aber schon seit eineinhalb Jahren nach einem kleinen Haus im Landkreis München. Mein Fahrtweg zur Arbeit ist einfach zu lang, da verliere ich pro Tag fast drei Stunden und habe zu wenig Zeit für die Kinder. Aber die Preise für ein Einfamilienhaus sind einfach utopisch. Wenn ich meine Suche in einer Immobilien-Plattform eingebe, dann kostet zum Beispiel ein Haus aus den Sechzigerjahren mit Renovierungsbedarf und fünf Zimmern 890 000 Euro. Welche Familie kann sich bitte ein Haus, das fast eine Million Euro kostet, leisten? Oder hier, ein Haus in Oberhaching zur Miete mit drei Zimmern: 3000 Euro monatlich, kalt. Eigentlich rechnet man, dass die Miete nur ein Drittel von dem sein sollte, was man netto verdient.

Wir wohnen jetzt sehr schön in Weilheim. Aber das kann nicht so bleiben, wegen der langen Fahrzeit. Vor zwei Jahren habe ich noch eine Stunde in die Arbeit gebraucht, jetzt sind es 90 Minuten täglich. Und ich will doch auch mal meine Kinder zum Fußball oder Tanzunterricht fahren und nicht immer die anderen Eltern bitten müssen. Uns bleibt kaum Zeit, die Hausaufgaben von meinem Sohn und meiner Tochter täglich anzusehen. Heute muss ich meine Tochter um 17 Uhr vom Kindergeburtstag abholen. Da muss ich eineinhalb Stunden vorher auf der Arbeit los, um das zu schaffen. Wir haben auch schon Objekte angeschaut, aber etwas Vernünftiges war noch nie dabei. Da ist das Haus auf der Plattform toll beschrieben und der Preis noch einigermaßen im Rahmen, dann kommt man hin und direkt am Gartentor fährt die S-Bahn vorbei.

So hoch der Freizeitwert in und um München mit all den Seen und den Bergen in der Nähe ist, da frage ich mich wirklich, ob es das noch wert ist, wenn man dafür finanziell auf dem Zahnfleisch kriecht. Ich habe das Gefühl, die Eigentümer können Preise abrufen, wie sie wollen.

Als Alleinerziehende im Nachteil

Nicole Ludwig, 29, Arzthelferin: Ich suche seit ich schwanger bin nach einer Zwei-Zimmer-Wohnung - jetzt ist der Kleine schon acht Monate alt. Ich habe bestimmt mehr als 50 Mal Leute angeschrieben, die auf Immobilien-Plattformen inseriert haben. Am besten wäre es für uns in Garching oder einer Nachbargemeinde, weil dort meine Mutter wohnt, die sich auch mit um den Kleinen kümmert. Aber als alleinerziehende Mutter hat man es doppelt schwer. Die wollen natürlich am liebsten ein Paar mit zwei Einkommen. Diese Sicherheit kann ich nicht bieten. Bei 80 Prozent der Wohnungen ist man damit schon raus. Sieben Mal konnte ich auch wirklich eine Wohnung anschauen. Aber wenn etwas zurückkam, dann hieß es immer, die Wohnung sei schon anderweitig vergeben.

Zurzeit wohne ich mit dem Kleinen bei meiner Mutter in Garching. Mit ihr und meiner kleinen Schwester teilen wir uns eine Drei-Zimmer-Wohnung. Das ist einfach zu wenig Platz auf Dauer. Für eine kleine Wohnung wollen die meisten schon 800 Euro im Monat. Aber ich bin gerade in Elternzeit und beziehe Geld vom Jobcenter, da dürfen die Wohnkosten 600 Euro nicht übersteigen. Die Suche ist für mich sehr nervenaufreibend. Das geht an die Substanz, wenn du jeden Tag die Zeitungen durchschaust und selbst Inserate aufgibst und andauernd Leute anschreibst. Kurz hat man wieder Hoffnung und dann zerschlägt es sich doch.

Getrennt wegen Wohnungsnot

Tillmann L., 36, Gärtnermeister im Botanischen Garten: Hier in München hat man fast das Gefühl, dass wenn man nicht Banker ist oder so, man in die Randbereiche rausgedrängt wird - fast wie Slums. Ich suche jetzt seit einem Jahr eine Drei-Zimmer-Wohnung für meine Freundin und unsere kleine Tochter.

Weil wir bisher nichts gefunden haben, trennen uns gerade 370 Kilometer von München nach Jena. Ich pendle jeden Freitag, um meine Freundin und meine Tochter zu sehen, die Kleine ist erst acht Monate alt. Wir möchten schon lange als Familie in oder um München wohnen, aber bisher war nichts Schönes dabei, das auch erschwinglich gewesen wäre.

Als ich vor drei Jahren noch eine Ein-Zimmer-Wohnung für mich allein gesucht habe, hat das eigentlich gut funktioniert. Ich habe ein Gesuch inseriert, und es haben sich einige Anbieter bei mir gemeldet. Jetzt mit der Wohnung für drei hat das gar nicht geklappt. Ich habe nur wenige Angebote bekommen, und wenn es bezahlbar war - in meinem Fall unter 1000 Euro - dann war es direkt an einer Schnellstraße oder so. Mich schockiert das gerade, wenn ich an andere Berufsgruppen denke, die ja das Rückgrat unserer Gesellschaft sind wie Pflegepersonal, Erzieherinnen, Müllarbeiter - wo sollen sie denn wohnen?

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Quelle:
SZ vom 07.06.2018
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