Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Campus-Köpfe:Der Trick mit dem Ionenaustauscher-Harz

Lesezeit: 3 min

Der gelernte Maschinenschlosser Ismail Zöybek hat an der TU München in Garching eine Möglichkeit gefunden, radioaktives Wasser so umzuwandeln, dass es in die Isar geleitet werden darf. Das spart dem Freistaat eine Menge Geld.

Von Gudrun Passarge, Garching

Wer Ismail Zöybek an seinem Arbeitsplatz besuchen will, muss einige Hürden und Schleusen überwinden, bis er im Keller des Garchinger Forschungsreaktors in den Raum kommt, in dem das schwachaktive und das mittelaktive Abwasser des Reaktors gesammelt wird.

Der 61-Jährige arbeitet als Techniker am Leichtwassersystem des Reaktors und genau dort hat er auch seine Erfindung gemacht. Sie hat ihm schon viel Ehre eingebracht und dem Freistaat spart sie viel Geld. Etwa 800 000 Euro jährlich, hat sein Arbeitgeber, die TU München, ausgerechnet. Dabei handle es sich um eine "simple Idee", sagt Zöybek und lächelt. Durch sie ist es möglich, mit relativ geringem Aufwand, mittelradioaktives Wasser (maximal bis 10 000 Becquerel pro Liter) in schwachradioaktives Abwasser (bis maximal 4000 Becquerel) umzuwandeln, dank eines Ionenaustauscher-Harzes.

Der gelernte Maschinenschlosser arbeitet gerne in der Neutronenquelle. Als er 1973 aus der Türkei nach München kam, fand er seinen ersten Arbeitsplatz bei Siemens als Steuerungstechniker. Aber nach einer Umstrukturierung musste er sich entscheiden: Schichtarbeit, mit der Firma nach Indien oder Ungarn gehen oder die Abfindung nehmen.

Zöybek entschied sich für Letzteres. "Die Kinder waren noch klein", sagt er, er wollte die Familie nicht verlassen und auch nicht durch Schichtarbeit belasten. "Ich bin glücklich, dass ich hier anfangen konnte. Hier passt alles", sagt der 61-Jährige. Seit 2005 arbeitet er jetzt an der Forschungs-Neutronenquelle, dabei gehört es zu seinen Aufgaben, alle Kühlkreisläufe im Reaktor zu betreuen. "Eine vielseitige Beschäftigung", wie er betont.

Zöybek arbeitet in einem Bereich, der in diesem Jahr kontrovers diskutiert worden ist. Ging es doch um die Frage, ob die TU ihre Erlaubnis verlängert bekommt, schwachradioaktives Wasser in die Isar zu leiten. Das wasserrechtliche Genehmigungsverfahren läuft noch, das Landratsamt München muss mehr als 1000 Einwendungen gegen die Einleitung bearbeiten, die viele gerne verbieten würden.

Die Proben werden mehrfach untersucht

Zöybek zeigt auf einen großen Metalltank: "Das ist der Behälter für schwachaktives Abwasser", erklärt er. Hier kommt das Wasser aus der Wäscherei oder aus den Waschbecken hinein. Die zwei Behälter haben jeweils drei Kammern mit je 20 000 Litern Fassungsvermögen. Gefiltert wird das Wasser mit Beutelfiltern. Noch während des Filtervorgangs wird eine Probe gezogen, die von der Betriebschemie untersucht wird. Entsprechen die Ergebnisse den wasserrechtlichen Vorgaben, erfolgt die erste Freigabe. Das Wasser wird umgepumpt und vorbereitet für die Abgabe an die Isar.

Noch einmal muss Zöybek acht Flaschen als Probe ziehen, noch einmal untersucht die Betriebschemie die Werte. Zwei Flaschen bleiben mit genauem Datum als Rückstellprobe im Lager. Die zweite Freigabe, unterschrieben von der Betriebsleitung, dem Strahlenschutz und der Betriebschemie, ist Voraussetzung für die Einleitung in die Isar.

Aber zuerst muss Zöybek noch das Landesamt für Umwelt informieren. Das Abwasser fließt dann über eine Mess- und Überwachungsstelle des Landesamts für Umwelt in Richtung Fluss. Würden Grenzwerte überschritten, würde die Pumpe ausgehen und die Armatur schließen, sagt der Techniker. "Seit ich hier arbeite, hat sich die Armatur noch nie geschlossen."

So reibungslos, wie Zöybek den Vorgang für das schwachradioaktive Wasser schildert, war es beim mittelaktiven Abwasser nicht. Die Beutelfilter zogen die radioaktiven Stoffe nicht heraus. Hätte der Techniker nicht seine Erfindung gemacht, hätte die TU als Betreiber das belastete Abwasser in gelben Fässern nach Mitterteich transportieren müssen, wo sich die Landessammelstelle Bayern für radioaktive Abfälle befindet. Ein 6o Liter Fass koste 5000 Euro, heißt es von der TU.

Aber Zöybek hatte eine Idee. Er experimentierte mit verschiedenen Stoffen, die er in die Beutel füllte. Inzwischen ist sein System ausgeklügelt und funktioniert wie gewünscht. In der reaktoreigenen Näherei werden die doppellagigen Beutel genäht, die Zöybek mit Ionenaustauscher-Harz füllt. Mal wiegen sie zwei, mal vier Kilogramm, je nach Menge, die er filtern will.

Das Harz, das frei erhältlich ist, nimmt die radioaktiven Teilchen aus dem Abwasser auf und gibt dafür Wasserstoff- und Hydroxidionen ab. Das mittelaktive Abwasser wird nach dem Filtervorgang und entsprechender Beprobung schließlich behandelt wie schwachaktives Wasser und in die Isar abgeleitet.

Der Mitarbeiter der Forschungs-Neutronenquelle wurde für seine Idee bereits mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt hat ihn das bayerische Finanzministerium eingeladen. Seine Erfindung wurde zu den 15 besten Innovationen aus der bayerischen Verwaltung der vergangenen drei Jahre gezählt. Auch ein Preisgeld war mit den Auszeichnungen verbunden. Das kam ihm gut zu passe: Zöybek schenkte seiner Tochter die 8000 Euro zur Hochzeit.

Die SZ stellt in der neuen Serie "Campus-Köpfe" in unregelmäßigen Abständen Mitarbeiter der Universitätsstandorte in Garching, Neubiberg und Martinsried vor.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2019
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