Süddeutsche Zeitung

Landkreis München:"Hitler-Linde" stirbt

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Mit dem 1939 zum Geburtstag des Diktators gepflanzten Baum in der Mitte von Pullach geht es langsam zu Ende. Warum genau, weiß niemand. In dem Ort wird gerätselt: Ist der geschichtliche Rucksack der Linde zu schwer geworden?

Von Michael Morosow, Pullach

Lindenbäume können bis zu tausend Jahre alt werden. So war es wahrscheinlich kein Zufall, dass am 20. April 1939, einem Sonntag, ausgerechnet eine junge Linde vor der Metzgerei auf dem Kirchplatz in Pullach in die Erde gesetzt wurde. Feierte an diesem Tag doch Adolf Hitler seinen 50. Geburtstag. Jener Diktator, der ein 1000-jähriges Reich ausgerufen hatte. Der sogenannte Führer und seine abscheulichen Verbrechen sind schon lange Geschichte, die Linde mit braunen Wurzeln aber steht heute noch an ihrem Platz, wobei die Betonung auf "noch" liegt. Tausend Jahre wird sie sicher nicht werden, der Umweltamtsleiter der Gemeinde, Bernhard Rückerl, gibt ihr noch zwei Jahre, wenn überhaupt. "Der Baum stirbt, warum genau, weiß niemand", sagt der Rathausbedienstete. Denn an mangelnder Pflege könne es nicht liegen, werde das krüppelige Stangerl doch regelmäßig vom Bauhof gegossen und sogar einer professionellen Baumpflege unterzogen. Und unter einem Pilzbefall leide der Baum auch nicht.

Wurde also Nummer 569 im Baumkataster der Gemeinde der geschichtliche Rucksack zu schwer, den sie nun schon seit 83 Jahren tragen muss? Diese rhetorische Frage hatte Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund bereits vor fünf Jahren in einem ihrer wöchentlichen Bürgerbriefe gestellt. "Man könnte meinen, ihr diese Last förmlich anzusehen: Sie ist von eher kümmerlichem Wuchs und schlechter Vitalität", schrieb die Grünen-Politikerin damals. Jetzt aber sieht es noch schlechter aus für den in der Isartalgemeinde immer noch als "Hitler-Linde" bekannten Baum, der zwar keine braunen Schatten wirft, aber halt von der Wurzel bis zur Krone ein Nazi-Spross ist. "Welke Blätter, verfrühter Laubfall, einfach krank", attestiert ihm Umweltexperte Bernhard Rückerl.

Woanders wurden Bäume, die an den "Führer" erinnerten, umgesägt

Das Pflanzen von Linden und Eichen zu Ehren des "Führers" war Standard zur damaligen Zeit, selbst Baumgruppen in der Form von Hakenkreuzen wuchsen damals aus der Erde. So wurde etwa am 1. Mai 1933 im badischen Forst eine Hitler-Linde gesetzt, die allerdings von Anfang an einen schweren Stand hatte. Sie wurde in den folgenden Wochen zwei Mal abgebrochen, wobei die Täter beim zweiten Mal einen Zettel mit folgendem Gedicht hinterließen: "An diesem Platze / darf keine Linde wachsen, / und wenn sie Hitler selbst bewacht, / wird die Tat doch vollbracht." Die dritte Hitler-Linde in Forst wurde auf Drängen der Alliierten nach Kriegsende ausgegraben und vernichtet.

Hat jemals auch das politische Pullach darüber nachgedacht, dem Geburtstagsgeschenk für den Despoten mit der Säge den Garaus zu machen? Das wäre zwar viel einfacher gewesen als etwa das aktuell diskutierte Vorhaben, die nach Bischof Hans Meiser benannte Straße im Ort wegen dessen umstrittener Rolle während der NS-Zeit umzubenennen. Nein, von einer entsprechenden Debatte wisse sie nichts, sagt Bürgermeisterin Tausendfreund, die im Übrigen der Meinung ist, dass der Baum an seiner Geschichte unschuldig ist.

Sie erinnert sich dafür an eine Begebenheit zu diesem Thema anno 1983 im Gemeinderat, "als die alten Herren noch im Sitzungssaal Virginia rauchten und Bier tranken." Ein betagter CSU-Gemeinderat habe damals Klage über eine Gruppe Jugendlicher geführt, die zu seinem Missfallen regelmäßig den Kirchplatz zu feuchtfröhlichen Treffen genutzt und mit dem Hintern auf der Lehne und den Füßen auf der Sitzfläche der Bank vor der Linde gesessen hätten. Sein Antrag, deshalb die ganze Bank abzureißen, hätte laut der aktuellen Rathauschefin die Mehrheit bekommen, wenn nicht vier Mitglieder des Gremiums zu spät aus ihrem Nickerchen erwacht wären und deshalb versehentlich gegen den Antrag gestimmt hätten. Inzwischen ist die Längsbank durch eine Rundbank ersetzt worden - nach einer längeren, kontrovers geführten ideologischen Debatte im Gemeinderat im September 2019. Heimische Hölzer oder Tropenholz, lautete damals die Frage. Heimische Hölzer machten das Rennen.

Wenn Bäume tatsächlich untereinander kommunizieren, wie Förster und Autor Peter Wohlleben sagt, dann wird sich der Hitler-Baum, übrigens eine Sommerlinde, in Bälde von ihrem Gegenüber, Baum Nummer 700, verabschieden. Die älteste Dorflinde wurde Ende des 19. Jahrhunderts zu Zeiten von Otto von Bismarck gepflanzt und steht auf der anderen Straßenseite. Ihr wäre es 1993 beinahe an den Kragen gegangen, sie sollte gefällt werden wegen ihrer vermeintlich zu kleinen Blätter. Der damalige Geschäftsleiter Erwin Deprosse rettete sie mit dem Hinweis darauf, dass die kleinen Blätter keineswegs Ausdruck einer Krankheit seien, sondern typisch für eine Winterlinde.

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